Personendaten
Giessler Irmgard (Irma)
Eltern: Karl (Carl) Freitag und Mathilde geb. Wertheim
Ehemann: Dr. Rupert Giessler
Kinder: Ursula Giessler
Maxstraße 23
Biografie
Irmgard (Irma) Giessler geb. Freitag stammte aus einer alteingesessenen Kissinger Familie, deren Vorfahren schon im 18. Jahrhundert als sog. „Schutzjuden“ hier lebten. Ihr Urgroßvater, der 1767 geborene Koppel Freytag, hatte 1799 einen Schutzbrief erhalten, der ihm und seiner Familie Wohnrecht gewährte und das Recht, seinen Beruf als Handelskaufmann zu betreiben. Dessen Sohn Philipp Freitag betrieb einen Holzhandel und eine Schreinerei in der Spargasse. Sein 1860 geborener Sohn Karl - Irmgards Vater - führte den Holzgroßhandel weiter. Er heiratete 1887 in Kassel Mathilde Wertheim. Das Ehepaar wohnte in Bad Kissingen in der Maxstraße 23, wo im Juni 1896 Irmgard zur Welt kam. Nur zwei Jahre später starben ihre Eltern, Irmgard kam zu einem Onkel namens Hertz nach Freiburg und wuchs dort auf.
Über ihre Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Sie lebte in der Mozartstraße in Freiburg und hätte - wie sich ihre Tochter Ursula aus Gesprächen mit ihrer Mutter erinnert - gerne Medizin studiert, was aber nicht möglich war, und absolvierte eine Banklehre. Sie sei sehr interessiert gewesen an Theater und habe auch kurze Zeit Schauspielunterricht genommen und eine Theatergruppe geleitet.
1928 heiratete sie den katholischen Publizisten Dr. Rupert Giessler, der bis 1939 Redakteur der damaligen "Freiburger Tagespost", einer katholischen Zeitung, war. Kurz vor der Eheschließung war Irmgard zum katholischen Glauben konvertiert, für die Nazis blieb Irmgard Giessler aber eine Jüdin. Im Jahr 1936 kam ihre Tochter Ursula zur Welt.
Durch ihre Heirat mit einem nichtjüdischen Partner hatte sie den Status einer sog. "privilegierten Mischehe". Dennoch war die Familie den Repressionen der Nationalsozialisten ausgesetzt. 1939 erhielt Irmgards Ehemann Rupert Berufsverbot, weil er eine jüdische Frau hatte. Ihretwegen war er auch "wehrunwürdig". Vom 1. Februar 1940 erhielt die "Tagespost" keine Papierzuteilung mehr und musste ihr Erscheinen einstellen. In den folgenden vier Jahren fand Rupert Giessler Beschäftigung und Unterschlupf beim Alsatia-Verlag in Colmar.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1944 spitzte sich die Lage zu. Die Fronten rückten näher, die Möglichkeit von Luftangriffen auf Freiburg war nicht mehr auszuschließen und Andeutungen des NS-Blockwarts war zu entnehmen, dass nun auch Angehörige der "privilegierten Mischehe" nicht länger vor Deportation und Vernichtung geschützt waren. Freunde der Familie Giessler hatten mit den Herz-Jesu-Priestern im Kloster Stegen (ca 10 km östlich von Freiburg im Dreisamtal) Verbindung aufgenommen. Pater Middendorf hatte zugesagt, er werde sie und weitere jüdische Bürger aufnehmen. Im Sommer 1944 tauchten Irmgard Giessler und ihre Tochter Ursula im Kloster Steben unter und überlebten dort versteckt bis zum Kriegsende. Eine anschauliche, detaillierte Beschreibung dieser dramatischen Zeit findet man auf der Website des "Heimatgeschichtliche[n] Arbeitskreis[es] Stegen" .
Irmgards Ehemann überlebte ebenfalls, er war nach dem Krieg Mitbegründer und Leiter der "Freiburger Nachrichten", die sich später in "Badische Zeitung" umbenannten. Er genoss großes Ansehen als Publizist und war zwischen 1953-1965 Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes und von 1956-1961 Sprecher des Deutschen Presserates (weitere Details zu seiner Person). Irmgards Tochter Ursula schlug wie ihr Vater die journalistische Laufbahn ein und war Redakteurin in Saarbrücken. Als Zeitzeugin
erzählt sie in Schulen und bei Gedenkveranstaltungen über ihre Erfahrungen in der NS-Zeit.
Irmgard Giessler starb 1958 im Alter von 62 Jahren, ihr Mann überlebte sie noch um mehr als zwanzig Jahre, er starb im Oktober 1980, beide sind auf dem Freiburger Hauptfriedhof begraben.
Quellenangaben
Meldeakten der Stadt Bad Kissingen
Datenbank Myheritage, Carl Freitag & Mathilde Wertheim In Deutschland, Hessisches Personenstandsregister, 1849-1931
Datenbank Myheritage, Irma Giessler (geb. Freitag) In Jüdische Holocaust-Gedenkstätten und jüdische Einwohner Deutschlands 1939-1945
Datenbank Ancestry, Irma Giessler in der Sammlung Deutschland, Juden aus Baden 1940
Website des "Heimatgeschichtliche[n] Arbeitskreis[es] Stegen", Pater Heinrich Middendorf, Gerechter unter den Völkern (Waisen, Juden, Menschen in Bedrängnis - Lebensschicksale in Stegen von 1942 bis 1945) P. Dr. Bernd Bothe, Stand: 01.02.1998, IV Die Menschen jüdischer Abstammung, B Irmgard und Ursula Giessler
Gedenkstätte Stille Helden, Margarete Borgmann
Internetzeitung RegioTrends, 26. Januar 2023: "Ende der Zeitzeugenschaft?" - Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz im Historischen Kaufhaus Freiburg
Leobw, Landeskunde entdecken, Biografie Rupert Giessler
Amtsblatt Freiburg, "Das wird uns nie wieder passieren“ Zeitzeugen des Nationalsozialismus berichten bei der Gedenkveranstaltung zur Auschwitzbefreiung, S. 7, 10. Februar 2017
Anja Bochtler, Holocaust-Gedenken Wie sich eine Freiburger Zeitzeugin die Zukunft des Erinnerns wünscht, Badische Zeitung, 27.1.2023
Datenbank billion graves, Grabstein Irmgard und Rupert Giessler
Informationen Ursula Giessler, Telefonat vom 24.02.2025
Bildnachweise
Irmgard und Ursula als Kind © Heinrich Middendorf Oberschule HMO 1943 - 1945
Rupert Giessler 1959 © Wikipedia-Artikel Rupert Giessler
Herz-Jesu-Kloster Stegen © Heinrich Middendorf Oberschule HMO 1943 - 1945
Ursula Giessler als Zeitzeugin © Michael Bamberger, Badische Zeitung, 27. Januar 2023
Grabstein Irmgard und Rupert Giessler © Datenbank billion graves
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