Personendaten
Silbermann Leo
Eltern: Heinrich Silbermann und Babette geb. Kahnlein
Geschwister: Salli, Lina verh. Goldschmidt, Rosa verh. Weiß (später Markendorf), Paula verh. Nordhäuser, Kate verh. Klein, Manfred,
Ehefrau: Meta Kahn
Kinder: Boaz (Adoptivsohn - Sohn seines Bruders Manfred)
Von-der-Tann-Straße 8 (Hotel Seelig)
1939 emigriert nach England
Biografie
Leo Silbermann lebte nur kurze Zeit in Bad Kissingen und arbeitete während dieser Zeit als Kellner im Hotel Seelig.
Er kam im Februar 1915 als jüngstes Kind des Viehhändlers Heinrich Silbermann und dessen Ehefrau Babette geb. Kahnlein in Oberelsbach (Landkreis Bad Neustadt) zur Welt und wuchs zusammen mit sechs älteren Geschwistern auf. Die Familie Silbermann war eine alteingesessene, weit verzweigte Familie in der kleinen Rhöngemeinde. Leos Vater handelte vor allem mit Pferden, besaß aber auch mehrere Äcker und betrieb Landwirtschaft. Leos Schwester Lina erinnerte sich in ihrem Interview mit der Shoa Foundation vor allem an die schönen Apfel-, Birn- und Pflaumenbäume, die zu ihrem Besitz gehörten.
Leo und seine Geschwister erlebten in Oberelsbach eine unbeschwerte, glückliche Kindheit. Sie besuchten die keine fünf Minuten von ihrem Haus entfernte katholische Dorfschule; der Dorfschullehrer meinte immer, dass die jüdischen Kinder seine besten Schüler seien. Lina betonte, dass das Verhältnis zwischen Juden und Christen im Dorf gut gewesen sei. Sie hätten auch viele nichtjüdische Freunde gehabt und seien sogar manchmal mit ihnen in die Kirche gegangen. Die jüdischen Feste und der wöchentliche Schabat wurden traditionell im Familienkreis gefeiert. Zu den Kindheitserinnerungen gehörte auch, dass man vor allem die Sommerferien in der Natur - in den umgebenden Wäldern der Rhön - verbracht habe und ein gesundes Landleben geführt habe, so dass man nie „einen Doktor im Haus" gebraucht habe.
In den 1930er-Jahren half Leo wohl im Viehhandelsgeschäft und der Landwirtschaft seines Vaters mit, besaß jedoch auch Qualifikationen als Kellner und Koch. Spätestens seit Anfang 1937 trug er sich mit dem Gedanken, Deutschland zu verlassen. Er plante zunächst, eine Haschara-Ausbildung zu machen und wie sein Bruder Manfred nach Palästina zu emigrieren
. Warum es nicht dazu kam, ist nicht bekannt. Als ihm die Viehhandelskarte entzogen wurde, wandte er sich im Januar 1938 an den Distriktsrabbiner Max Ephraim aus Bad Kissingen, mit der Bitte
, ihm bei der Beschäftigungssuche zu helfen. Auf Vermittlung Max Ephraims kam kurze Zeit später ein Vorstellungsgespräch
in Bad Kissingen zustande, und Leo Silbermann und seine beiden Cousins, Siegfried und Albert Kahnlein, erhielten eine Zusage
für die bevorstehende Saison.
Im März 1938 zog der inzwischen 23jährige Leo für eine Kursaison nach Bad Kissingen und arbeitete als Kellner im Hotel Seelig in der Von-der-Tann-Straße 8. Im September meldete er sich nach Bamberg ab, wo er während des Novemberpogroms inhaftiert und am 11. November ins KZ Dachau verschleppt wurde. Am 20. Januar 1939 kam er wieder frei, nachdem ihm seine Schwester Lina und ihr Mann, die zu diesem Zeitpunkt bereits in England lebten, eine Einreisegenehmigung besorgt hatten, so dass er kurze Zeit später nach England emigrieren konnte. Lina erzählt in ihrem Interview mit der Shoa Foundation, dass er zeitlebens nicht darüber sprechen wollte, was er in im KZ Dachau erlebt habe. Im September 1939 lebte Leo in Hackney, einem Stadtbezirk im Nordosten Londons, und besuchte ab und zu seine Schwester Lina. Offensichtlich blieb ihm die damals für deutsche Emigranten übliche Inhaftierung als „feindlicher Ausländer" erspart, denn bereits in Oktober 1939 erhielt er eine Freistellung und arbeitete in der Folgezeit auf Schloss Gwrych in Abergele, Conwy, in einem landwirtschaftlichen Hachscharah-Ausbildungszentrum. Zwischen 1939 und 1941 beherbergte Gwrych Castle rund 200 jüdische Flüchtlinge im Alter zwischen 12 und 17 Jahren, die aus dem von den Nazis besetzten Europa geflohen waren und sich auf ihre Auswanderung nach Palästina vorbereiteten. Leo war dort sowohl als Koch als auch als Ausbilder tätig. Seine Schwester beschreibt ihn als überaus geschickten, vielseitigen Burschen, der „alles konnte". So erhielt er auch sofort eine Beschäftigung als Ausbilder für die jungen Leute, die nach Palästina auswandern wollten.
Anders als seine Schwester entschied sich Leo dafür, in England zu bleiben. Er arbeitete dann in London im Geschäft Nathan Goldschmidts, eines Bruder seines Schwagers Willy, der mit seiner Schwester Lina verheiratet war. Leo arbeitete dort als Schrotthändler sowohl in London als auch in Birmingham. Er heiratete Meta Kahn (1912 - 2001), die mit einem Kindertransport aus Düsseldorf nach England kam. Sie lebten in Bayswater London und zogen dann nach West Hampstead London. Beide hatten keine eigenen Kinder, sie adoptierten aber in den 1950er-Jahren Boaz, den Sohn von Leos Bruder Manfred. Manfred Silbermann, von Beruf Textilhändler, war Mitte der 1930er-Jahre nach Palästina emigriert und hatte Ruth Schachor geheiratet, ihr Sohn Boaz wurde 1940 in Israel geboren. Ruth Silbermann starb wenige Jahre später, ihr Mann wanderte nach Baltimore aus. Ihr Sohn Boaz wurde in eine Pflegefamilie gegeben. Denn sein Vater wanderte nach Baltimore aus. Er heiratete dort ein zweites Mal und starb im Februar 2001 in Towson/Baltimore im Bundesstaat Maryland im Alter von 90 Jahren.
Leo Silberman und seine Frau Meta flogen nach Israel und brachten Manfreds Sohn Boaz nach London und adoptierten ihn. (Informationen Robert Silverman, USA, Sohn von Boaz Silverman)
Leo Silbermann, der sich in England "Silverman" nannte, besuchte 1982 und 1984 noch einmal seine fränkische Heimat und gab während seines Aufenthalts in Bad Kissingen Monika Eckert, einer Schülerin aus seinem Geburtsort Oberelsbach, ein Interview für ihre Facharbeit „Die Rhöngemeinde Oberelsbach in der NS-Zeit und in den ersten Nachkriegsjahren". Trotz all des Leids, das auch seine Familie während der NS-Zeit erfahren hatte, hegte er keinen Groll und erklärte, dass viele Ortsbewohner zunächst die Boykottaufrufe der Nationalsozialisten ignoriert hätten und weiter bei den jüdischen Kaufleuten eingekauft hätten : „Man hatte sogar vielfach den Eindruck, dass sie jetzt erst recht beim jüdischen Geschäftsmann einkauften... die Mehrheit der Oberelsbacher Bürger hat sich den jüdischen Einwohnern gegenüber sehr anständig benommen. Und das auch dann noch, als es bereits sehr gefährlich war, sich auf die Seite der Juden zu stellen"(Ortschronik von Oberelsbach, S.248).
Leo Silbermann starb im November 1990 in Camdon/Greater London im Alter von 75 Jahren. Seine Frau Meta starb im September 2001. Beide sind auf dem jüdischen Friedhof Bushey, in der Grafschaft Hertfordshire im Osten Englands begraben.
Auch Leos sechs Geschwistern gelang es aus Deutschland zu fliehen.
Sein ältester Bruder Salli (*1898), der die in Coburg geborene Ilse Goldmeier heiratete, betrieb im oberfränkischen Lichtenfels einen Viehhandel. Das Ehepaar konnte 1938 in die USA emigrieren, wo Salli bereits 1940 gestorben ist.
Die älteste Schwester Paula (*1900) hatte 1919 den Pferdehändler Arno Nordhäuser aus der hessischen Nachbargemeinde Wüstensachsen geheiratet und war seit 1935 verwitwet. Ihr und ihren beiden Kindern gelang 1938 die Flucht in die USA. Sie starb im September 1989 in New York.
Leos zweite Schwester Lina (1901 - 2000), die den in Bad Hersfeld geborenen Willy Goldschmidt geheiratet hatte, zog nach der Heirat nach Berlin, wo ihr Mann seit 1924 einen erfolgreichen Handel mit Schrott und Metallen betrieb. Ihrem Ehemann Willy gelang 1938 die Ausreise nach England, Lina und ihre Tochter und ihre Tochter Babette folgten ihm nach Kriegsausbruch über die Zwischenstation Niederlande. Dank finanzieller Unterstützung von Verwandten in den USA konnte die gesamte Familie schon bald in die Vereinigten Staaten auswandern. Lina starb hochbetagt im November 2000 in Randallstown, Maryland.
Leos Schwester Rosa (Rose) (*1903) war in zweiter Ehe mit dem Berliner Textilunternehmer Rudolf Markendorf verheiratet, der Teilhaber der Plüsch-und Krimmerfirma „Markendorf & Ackermann" in Berlin-Kreuzberg war. Nach der Zwangsarisierung der Firma emigrierten sie nach Paris und später nach Südamerika und überlebten so die NS-Zeit. Nach Angaben ihrer Schwester Lina starb Rose Markendorf 1979 in Paris, in verschiedenen Datenbanken wird dagegen als Todesdatum das Jahr 1963
angegeben.
Auch Kate verh. Klein (*1905) - die jüngste Schwester Leos - konnte rechtzeitig aus Deutschland fliehen. Sie starb 1994 in Jerusalem.
Leos Bruder Manfred (*1910) wurde Textilhändler und war in den 1930er-Jahren zunächst nach Palästina emigriert und Ende der 1940er-Jahre nach Baltimore in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Er heiratete dort ein zweites Mal und starb im Februar 2001 in Towson/Baltimore im Bundesstaat Maryland im Alter von 90 Jahren.
Leos Vater Heinrich (*1866), der seit 1935 verwitwet war, versuchte vergeblich eine Auswanderungsmöglichkeit nach England oder in die Vereinigten Staaten zu seinen Kindern zu finden. Im Juni 1942 wurden er und Rosalia Haas, die letzten beiden in Oberelsbach verbliebenen Juden in das jüdische Altersheim in Würzburg eingewiesen und von dort im September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Ein knappes Jahr später im August 1943 starb er dort mit 73 Jahren an den unmenschlichen Haftbedingungen im Lager. Lina Goldschmidt erklärte im Interview die Haltung ihres Vaters: „Zuerst wollte er nicht gehen, weil er nicht glauben konnte, was passieren sollte, dann war sein Motto ‚zuerst die Kinder‘, und als er gehen wollte, war es zu spät, und wir konnten ihm nicht mehr helfen."
Quellenangaben
Meldeakten der Stadt Bad Kissingen
Monika Eckert, Ortschronik von Oberelsbach, S. 241-248
Goldschmidt, Lina. Interview 18156. Interview by Froma Willen. Visual History Archive, USC Shoah Foundation, 04 August 1996. https://vha-1usc-1edu-1vd5a2vr102bc.proxy.fid-lizenzen.de/testimony/18156. Accessed 22 Apr 2025.
Informationen Robert Silverman, Mail vom 11. Mai 2025
Datenbank Mapping the Lives, Leo Silbermann
Datenbank Myheritage, Leo Silbermann In Jüdische Holocaust-Gedenkstätten und jüdische Einwohner Deutschlands 1939-1945
Datenbank Ancestry, Leo Silbermann in der Sammlung Deutschland, Haftlisten, 1933–1945
Arolsen Archives, KZ Dachau Zugangsbuch, Eintrag Leo Silbermann
Arolsen Archives, Leo Silbermann Haftentlassung KZ Dachau
Datenbank Myheritage, Leo Silbermann In Jüdische Holocaust-Gedenkstätten und jüdische Einwohner Deutschlands 1939-1945
Datenbank Myheritage, Leo Silverman (Silberman) In 1939 Register von England und Wales
Datenbank Ancestry, Leo Gerace Silbermann in der Sammlung Großbritannien, ausländische Internierte im 2. Weltkrieg, 1939-1945
Datenbank Myheritage, Leo Silverman In England & Wales Todesfälle, GRO Verzeichnisse, 1969 - 2007
Datenbank Ancestry, Silverman Family Tree
Datenbank Ancestry, Leo Silbermann in der Sammlung Stiftung USC Shoah, Interviews mit jüdischen Holocaust-Überlebenden
Datenbank Ancestry, Leo Silverman in der Sammlung Sterbeindex England & Wales, 1916-2007
Stolpersteine Lichtenfels, Salli und Ilse Silbermann
Datenbank Myheritage, Heinrich Silbermann In MyHeritage Stammbäume
Biographische Datenbank Jüdisches Unterfranken, Silbermann Heinrich
Datenbank Mapping The Lives, Heinrich Silbermann
Datenbank Myheritage, Heinrich Silbermann In Geni Welt-Stammbaum
Datenbank Genicom, Babette Kahnlein
Datenbank Myheritage, Manfred Silberman In MyHeritage Stammbäume
Datenbank Myheritage, Manfred Silberman In U.S. Sterbe-Verzeichnis der Sozialversicherung (SSDI)
Datenbank billiongraves, Max Silberman
Datenbank Myheritage, Manfred Silberman In Maryland Deaths
Stolpern mit Herz und Verstand, Stolpersteininitiative Bad Hersfeld, S.36/37
Datenbank Myheritage, Lina Goldschmidt In BillionGraves
Datenbank Myheritage, Lina Goldschmidt (geb. Silbermann) In Jüdische Holocaust-Gedenkstätten und jüdische Einwohner Deutschlands 1939-1945
Datenbank Mapping The Lives, Lina Goldschmidt
Datenbank Myheritage, Lina Goldschmidt In 1939 Register von England und Wales
Datenbank Genicom, Rose Markendorf
Datenbank Wiewaswie (Hinweis auf Scheidung Rose Silbermanns)
Datenbank Ancestry, Rosa Weiß in der Sammlung Deutschland, Index von Juden, deren deutsche Staatsbürgerschaft vom Nazi-Regime annulliert wurde, 1935-1944
Datenbank Ancestry, Rosa Silbermann in der Sammlung Berlin, Deutschland, Heiratsregister, 1874-1936 (Heirat mit Marcus Weiss)
Familiengeschichte Gustav Markendorf
Datenbank Familysearch, Rio de Janeiro. Fremdenmappen, Aufnahme 88, Rudi Markendorf
Datenbank Familysearch, Rio de Janeiro, Fremdenmappen, Nr. 88, Rose Markendorf
Datenbank Ancestry, Rosi Markendorf in der Sammlung Stiftung USC Shoah, Interviews mit jüdischen Holocaust-Überlebenden
Datenbank Ancestry, Kate Klein in der Sammlung Stiftung USC Shoah, Interviews mit jüdischen Holocaust-Überlebenden
Datenbank Myheritage, Käte Klein, קטה קליין In BillionGraves
Datenbank Ancestry, Kath. Liebermann, Silbermann in der Sammlung Deutschland, Haftlisten, 1933–1945
Datenbank Myheritage, Paula Nordhauser (geb. Silberman) In MyHeritage Stammbäume
Datenbank Ancestry, Paula Nordhauser in der Sammlung Stiftung USC Shoah, Interviews mit jüdischen Holocaust-Überlebenden
Datenbank Ancestry, Paula Nordhauser in der Sammlung New York, USA, Listen ankommender Passagier und Besatzungen (einschließlich Castle Garden und Ellis Island), 1820-1957
Datenbank Ancestry, Paula Nordhauser in der Sammlung Manhattan, New York City, New York, USA, Wahlregister, 1915–1956
Datenbank Ancestry, Paula Nordhaeuser in der Sammlung USA, Index zu Ausländerfalldateien, 1944-2003
Datenbank Ancestry, Paula Nordhauser in der Sammlung USA, Find A Grave-Index, 1600-heute
Datenbank Myheritage, Arno Nordhauser In MyHeritage Stammbäume
CAHJP, Distriktsrabbinat Bad Kissingen D-Ba2-31 Erscheinungsort Distriktsrabbinat Bad Kissingen Erscheinungsjahr 1913-1938, Rabbinatsakten, Oberelsbach betr., Blatt 100, 123, 127, 128, 129, 130
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