Personendaten


Heymann Hartwig

Nachname
Heymann
Vorname
Hartwig
Geburtsdatum
11.03.1896
Geburtsort
Bad Kissingen
Weitere Familienmitglieder
Adresse

Marktplatz 2

Beruf/Ämter
Textilkaufmann
Emigration/Deportation

November 1938 Flucht nach Amsterdam 
Emigration nach Trinidad
nach Ende des Zweiten Weltkriegs Einreise in die USA

Sterbeort/Sterbedatum
Albany Berkeley - 01.02.1993

Biografie


Hartwig Heymann, der einzige Sohn von Solms und Adele Heymann kam am 11. März 1896 in Bad Kissingen zur Welt. Seine Eltern besaßen am Marktplatz ein Textilgeschäft. Ab September 1906 besuchte er die Kissinger Realschule. Er wurde in eine Familie hineingeboren, die sich ihrer deutschen Heimat besonders verbunden fühlte, ohne dabei ihr Judentum aufzugeben: „Wir waren religionsmäßig Juden [...], aber sonst fühlten wir uns als absolute deutsche Staatsbürger mit Herz und Seele.“
 

H.Heymann als Schüler
Hartwig Heymann (zweite Reihe Mitte) mit den Schülern seiner Abschlussklasse
195_Hartwig-Heymann
Hartwig Heymann als Jugendlicher
Soldat-im-Ersten-WK,-1917
als Soldat im Ersten Weltkrieg, 1917


 

So sah es der achtzehnjährige Hartwig als seine patriotische Pflicht an, sich am Beginn des Ersten Weltkrieges zusammen mit zahlreichen anderen Kissinger Juden als Kriegsfreiwilliger zu melden. Im November 1914 kam er an die Front. Die unmenschliche Realität des Krieges holte ihn bald ein und erschütterte rasch seine idealistischen Vorstellungen. Bereits im Januar 1915 wurde Hartwig Heymann an der Westfront in Flandern durch einen Lungensteckschuss schwer verwundet und als „kriegsbeschädigt“ in die Heimat entlassen. 

Anders als viele andere Deutsche begrüßten Hartwig Heymann und sein Vater ausdrücklich die demokratische Entwicklung in Deutschland nach dem Krieg. So engagierte er sich etwa im Mai 1919 zusammen mit Ludwig Ehrlich, Otto Goldstein, Siegmund Federlein und Samuel Hofmann in der „Kissinger Einwohner- und Volkswehr“, die die sozialdemokratische bayrische Regierung unterstützte, die von den Räteunruhen in München bedroht war. Noch in den letzten Kriegsmonaten begegnete Heymann seiner späteren Frau Leni Rosner, die sich mit ihren Eltern zur Kur in der Badestadt aufhielt. Beide heirateten 1920. Leni zog nach Bad Kissingen und ihr Mann übernahm nach der Heirat das väterliche Konfektionsgeschäft am Marktplatz. Die Heymanns hatten nun – wie Hartwig Heymann berichtet – wirtschaftlich schwere Jahre in der Inflationszeit durchzustehen, doch gelangten sie in dieser Zeit in Bad Kissingen auch zu hohem Ansehen.

Hochzeit-H.-Heymann-2
Hochzeit Hartwig und Leni Heymann, Februar 1920 im Hotel Wuerttemberger Hof, Nürnberg. Erste Reihe: Elise Rosner (Tante), Adele Heymann (Mutter), Helene und Hartwig (Brautpaar), Martha Rosner (Schwiegermutter), Lenis Großmutter Dannheimer. Zweite Reihe: Moritz und Dorchen Weinheber, Onkel Alex und Stefany, Jacob, Gretl Herzberg, Josef Rosner (Schwiegervater), Solms Heymann (Vater), Onkel Hermann und Klara Dannheimer, Tante Jenny Lehmann, Ludwig Lehmann (Cousin)


 

In seiner Autobiografie schildert Heymann anschaulich die zunehmende Ausgrenzung der jüdischen Bürger der Stadt mit dem Beginn der NS-Zeit. Zwar blieb die Familie aufgrund des hohen Ansehens, das insbesondere Solms Heymann aufgrund seiner vielfältigen gesellschaftliche Aktivitäten in der Stadt genoss, von persönlichen Anfeindungen verschont, aber der wachsenden Ausgrenzung konnten auch sie nicht entgehen: „Natürlich traute sich niemand in der Stadt mit uns zu sprechen; selbst sogenannte Schulfreunde gingen an einem vorbei, als ob man nicht existieren würde.“ Der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 und die Nachwirkungen der Weltwirtschaftskrise zwangen Hartwig Heymann zur schrittweisen Aufgabe seines Konfektionsgeschäfts.

Obwohl sich 1934 die Möglichkeit zur Auswanderung in die Schweiz bot, blieben die Heymanns zunächst in Deutschland. Wie viele andere Kissinger Juden, die zutiefst mit ihrer Heimatstadt und der deutschen Kultur verbunden waren, konnten sich die Heymanns ein Leben außerhalb Deutschlands nicht vorstellen. Allerdings verlegte das Ehepaar Heymann seinen Wohnsitz von Bad Kissingen nach Berlin, wo man aufgrund der Anonymität der Großstadt als Jude zunächst noch etwas unbehelligter leben konnte. Vorher schickten die Heymanns ihren elfjährigen Sohn Gerhard Mitte November 1934 mit einem Kindertransport von Hamburg nach Cleveland/USA.

Nachdem seiner Frau nach einem Aufenthalt in der Schweiz Repressionen durch die Gestapo drohten, kehrte sie nicht mehr nach Deutschland zurück, sondern emigrierte in die Tschechoslowakei. Der Versuch ihres Mannes, ebenfalls auszuwandern, scheiterte, da die NS-Behörden 1936 Hartwig Heymann das nötige Ausreisevisum sowohl in die Tschechoslowakei als auch in die USA verweigerten. Daraufhin zog er nach Rostock, wo er als kaufmännischer Angestellter des jüdischen Kaufhauses Kadepa Arbeit fand. Dort wurde in der Pogromnacht 1938 sein Zimmer verwüstet, er selbst wurde verhaftet und erlebte während dieser Haft Momente größter Bedrohung und Unsicherheit. Schließlich wurde er entlassen, wobei seine Auszeichnung im Ersten Weltkrieg und seine Bereitschaft, sobald wie möglich auszuwandern, sich als hilfreich erwiesen hatten. Nach seiner Freilassung fuhr Heymann umgehend zu seinen Eltern nach Bad Kissingen und nahm Abschied von ihnen. In seiner Autobiografie schreibt er: „Niemals mehr habe ich meine Eltern gesehen. Ich eilte durch Wälder und Wiesen und Täler, die ich von meiner Kindheit her kannte, bis ich eine Bahnstation ungefähr 10 Meilen entfernt antraf, von wo aus ich wieder … zurückfuhr.“

Im Dezember 1938 flog Heymann nach Amsterdam und erfuhr dort, dass seine Frau inzwischen nach England geflohen war. Vergeblich versuchte er deshalb eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, bis er Näheres über seine Frau erfuhr um sie treffen zu können. Die Drohung der Polizei, ihn nach Deutschland zurückzuschicken, zwang ihn aber, umgehend nach Trinidad auszuwandern und das nächste Schiff zu nehmen. Dort fristete er in den nächsten Jahren unter armseligen Bedingungen sein Leben als Flüchtling. Als nach dem Fall Frankreichs 1940 alle Deutschen, die in Trinidad lebten, in ein Internierungslager auf einer Insel gebracht wurden, wurde auch er - der Diffamierte und Verfolgte des NS-Regimes in Mithaftung genommen. Im Oktober 1941 wurde er freigelassen, musste aber in Port of Spain bleiben, wo er eine Anstellung bei einer jüdischen Hilfsorganisation fand, die sich um die Flüchtlinge in Trinidad kümmerte.

Nach Kriegsende konnte Hartwig Heymann über seinen Sohn Gerhard Kontakt zu seiner Frau aufnehmen. Er bemühte sich bei den Behörden in Trinidad um eine Einreisegenehmigung für seine Frau.  Sieben Monate nach Kriegsende - nach zehnjähriger Trennung - konnte Hartwig Heymann seine Frau endlich wiedersehen. Nach weiteren acht Monaten war dann die gesamte Familie wiedervereint. Ihrem Sohn Gary, der inzwischen aus der Armee entlassen worden war, war es gelungen, für seine Eltern ein Einreisevisum in in die USA zu bekommen. Erst jetzt erfuhr Hartwig vom Schicksal seiner Eltern und seiner Schwiegermutter, die in Theresienstadt den Tod fanden, und beschloss nach diesem Schock, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren und in den USA zu bleiben. Die Heymanns ließen sich in Albany Berkeley in der Nähe von San Francisco nieder und wurden amerikanische Staatsbürger. Leni Heymann starb dort 1981 im Alter von 85 Jahren, ihr Mann überlebte sie noch um elf Jahre. Noch im hohen Alter beeindruckten seine tiefe Menschlichkeit, sein erfrischender Humor, seine Güte, Weisheit und Herzlichkeit.

Noch detailliertere Informationen zur Biografie Hartwig Heymanns finden sich in: Hans-Jürgen Beck, Chronik jüdischen Lebens, Die Familie Heymann.

Hartwig,-Helen,-and-Gary-Heymann-post-WWII
Hartwig Heymann mit Ehemann Leni und Sohn Gary nach dem Zweiten Weltkrieg in den Vereinigten Staaten


Quellenangaben


Text gekürzt entnommen aus H.J. Beck, Kissingen war unsere Heimat, Stand April 2017, S. 971ff (Zitate stammen aus Hartwig Heymanns unveröffentlicher Autobiografie, Eine Generation) 
Schülerakte Jack-Steinberger-Gymnasium
Beck/Walter, Jüdisches Leben in Bad Kissingen, S.163 - 169
 

Bildnachweise


© Hartwig Heymann and Judy Heymann Kazan (weitergeleitet von Hans-Jürgen Beck)



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