Personendaten


Stein Ernst Wolfgang

Nachname
Stein
Vorname
Ernst Wolfgang
Geburtsdatum
04.08.1929
Geburtsort
Schweinfurt
Weitere Familienmitglieder

Eltern: Fritz Stein und Ruth geb. Kantorowicz
Geschwister: Heinz Thomas, Uriel Adolf Michael

Adresse

Schönbornstraße 19 (alte Zählung) ("Villa Julia")

Beruf/Ämter
Emigration/Deportation

September 1937 emigriert nach Amsterdam
deportiert von Westerbork nach Bergen-Belsen
April 1945 befreit

Sterbeort/Sterbedatum
Amsterdam - März 2020

Biografie


Ernst Wolfgang Stein (häufig nur Wolfgang oder Wolf genannt) kam am 04.08.1929 als Sohn des Unternehmers Dr. Fritz Stein und dessen Frau Ruth geb. Kantoworicz in Schweinfurt zur Welt. Sein Vater war zusammen mit dessen Bruder Jakob Inhaber und Generaldirektor der „Basaltstein GmbH Schweinfurt“, eines Unternehmens, zu dem zahlreiche  Basaltwerke in der Rhön und in der Schweiz gehörten.

In Bad Kissingen wohnte er zusammen mit seinen Eltern in den Sommermonaten 1930 und 1931 jeweils zwischen Mai und September bzw. August. Warum die Familie während der Kursaison in der Kurstadt lebte, ist nicht bekannt. In der Meldekarte der Stadt Bad Kissingen ist jedenfalls vermerkt, dass Fritz Stein mit Frau und Kind in der "Villa Julia" in der Schönbornstraße 19 wohnte und dass er selbst täglich nach Schweinfurt in seinen Betrieb fuhr. Im Herbst 1931 zog die Familie wieder durchgängig zurück nach Schweinfurt, wo die Steins in einem stattlichen dreistöckigen Wohnhaus in der Schultestraße lebte, das Wolfgangs Großvater Adolf mit Steinen aus seinem Basaltwerk hatte errichten lassen. Im Erdgeschoss waren die Geschäftsräume der Firma, darüber befand sich Adolf Steins Wohnung mit 10 -15 Zimmern und im Obergeschoss wohnten Fritz Stein und sein Bruder Jakob mit ihren Familien. Nach dem Tode des Großvaters übernahmen Wolfgangs Vater und sein Onkel Jakob 1932 die Leitung des Unternehmens.

Zusammen mit den jüngeren Brüdern Heinz Thomas (1931) und Uriel Adolf Michael (1935) wuchs Wolfgang in einer familiär behüteten Umgebung und sicherlich zunächst in privilegierten Verhältnissen auf, spürte jedoch schon bald die Ausgrenzung und den wachsenden Antisemitismus nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Schon 1933 wurde er aus dem Kindergarten ausgeschlossen und verlor seine Spielkameraden. Auch seine nichtjüdische Freundin Erika durfte von einem Tag auf den anderen nicht mehr mit ihm spielen, weil ihr Vater, der Mitglied der NSDAP war, es ihr verboten hatte. Ab jetzt konnte er nur noch mit seinen Geschwistern und Cousins im riesigen Garten der Stein-Villa spielten und fühlte sich ziemlich einsam (vgl. USC Shoa Foundation, Visual History Archive, Interview Wolf Steinexterner Link. Viele der nachfolgenden Informationen verdanken wir diesem Interview).

Wolfgang Stein erinnert sich daran, dass die NSDAP schon 1933 Leute angeheuert hatte, die vor ihr Haus kamen und "Juden raus" und "Saujuden" brüllten. Die Verfolgung und Diskriminierung der Nationalsozialisten bedrohte zunehmend Existenz des jüdischen Familienunternehmens. Als Wolfgangs Vater und dessen Bruder im Frühjahr 1936 an der Schweizer Grenze unter dem fadenscheinigen Vorwand des Devisenschmuggels verhaftet worden und die Vertretungsbefugnis für ihr Unternehmen verloren, - ein Vorwurf, der sich bei den nachfolgenden Ermittlungen der Gestapo nicht bestätigte - zog Fritz Stein mit seiner Familie im Mai 1936 nach Hamburg, wo er eine Arbeit gefunden hatte und die Situation weniger gefährlich schien als in Schweinfurt. Wolfgang besuchte hier ungefähr ein Jahr lang eine jüdische Talmud-Thora-Schule. Auch in Hamburg erlebte er gewaltsame Übergriffe: Eine Gruppe Jugendlicher verfolgte ihn auf dem Nachhauseweg, bewarf ihn mit Steinen und rief ihm „verdammter, hässlicher Jude" hinterher (ebenda).

Wolfgangs Eltern waren sich zunächst uneins, wohin sie längerfristig gehen sollten. Sein Vater, der überzeugter Zionist war, wäre gerne nach Palästina emigriert, wohin 1931 bereits zwei jüngere Geschwister ausgewandert waren. Er spielte mit dem Gedanken, am Toten Meer ein Industrieunternehmen aufzubauen. Wolfgangs Mutter fand das Leben in Palästina dagegen für eine Frau wenig attraktiv. Und so besuchten sie 1936 Palästina, um sich ein Bild vor Ort zu machen. Danach entschieden sie sich gegen eine Auswanderung nach Palästina und emigrierten im September 1937 nach Amsterdam. Dort besaß Ruths Onkel Meno Lissauer eine Firma ("Metals and Minerals Association"), die einen Import/Export mit Metallen, Mineralien betrieb, in der Fritz Stein eine Beschäftigung fand. Familie Stein lebte in den nächsten Jahren in durchaus gesicherten finanziellen Verhältnissen, in den Sommermonaten verbrachte man sogar noch gemeinsam Familienurlaub an der Nordseeküste in Zandvoort.

Doch mit dem Einmarsch der deutschen Truppen wurde die Lage für die Familie erneut prekär. Als am 10. Mai 1940 die deutsche Wehrmacht Holland überfiel, zeigte sich, wie unterschiedlich Wolfgangs Eltern in solchen Ausnahmesituationen reagierten. Die holländischen Behörden hatten für alle Deutschen eine Ausgangssperre verhängt und Fritz Stein, der sich immer gesetzestreu und regelkonform verhielt, zögerte etwas zu unternehmen. Ruth dagegen hielt eine sofortige Flucht nach England für geboten. Am 13. oder 14. hatte Ruth ihren Mann schließlich überzeugt, aus ihrer Wohnung Richtung Küste zu fliehen, um mit einer Fähre England zu erreichen. Sie hatten ein Auto organisiert und je näher sie der Küste kamen, desto heftiger wurde das Bombardement deutscher Flugzeuge. Als eine Straßensperre weniger Kilometer vor der Küste eine Weiterfahrt unmöglich machte, versuchten sie mit ihren Kinder zu Fuß die Fähre zu erreichen. Doch schließlich machten ihnen holländische Soldaten klar, dass ihr Bestreben angesichts des deutsche Bombardements glatter Selbstmord sei. Daraufhin kehrten sie am 15. Mai, dem Tag der niederländischen Kapitulation in ihre Wohnung in Amsterdam zurück (USC Shoa Foundation, Visual History Archive, Interview mit Heinz Thomas Stein)externer Link.

Das Leben ging zunächst scheinbar normal weiter, doch mit der deutschen Besatzung kamen ständig neue Einschränkungen und Verbote für jüdische Bürger auf: Sie mussten in der Öffentlichkeit den Judenstern tragen, duften keine öffentliche Parks mehr besuchen, mussten ihre Fahrräder, ihr Auto und Radio abgeben und durften keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen. Und zwischen 20 Uhr und 6 Uhr morgens galt zudem ein Ausgangsverbot für Juden. Wolfgang und sein Bruder Heinz Thomas mussten die öffentliche Schule verlassen und auf eine jüdische Schule gehen. Nach Aussagen von Heinz Thomas besuchte auch Anne Frank diese Schule und war in der Klasse seines älteren Bruders Wolfgang. Nach und nach verschwanden immer mehr jüdische Bekannte, entweder weil sie mit Hilfe der niederländischen Untergrundorganisation untertauchten oder weil sie von den Deutschen aufgegriffen und deportiert wurden. Dies und auch Suizide im Bekanntenkreis nach der deutschen Invasion verängstigten und verstörten den sensiblen zehnjährigen Wolfgang immer stärker. Eines Abends, als ihn seine Mutter zu Bett brachte, bat er sie inständig, ihn leben zu lassen, wenn sie Selbstmord begehen würde. (ebenda).

Bis Mitte 1943 konnte Familie Stein in ihrer Wohnung bleiben, sie gehörten zu den wenigen jüdischen Familien, die bis zu diesem Zeitpunkt von einer Deportation verschont blieben. Als die Razzien der Deutschen aber immer häufiger wurden, wuchs der Druck auf die Eltern etwas zu unternehmen. Erneut waren Ruth und ihre Mann unterschiedlicher Meinung. Fritz Stein, immer gewohnt sich gesetzeskonform zu verhalten, überlegte tatsächlich, sich freiwillig für „eines der besseren" Lager zu melden, in der illusionären Annahme, dass man ihn und seine Familie dort verschonen und besser behandeln würde, aufgrund seiner Verdienste und Auszeichnungen als Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs. Ruth widersprach ihm heftig und sagte, er sei nicht mehr bei Verstand. Fritz Stein glaubte, mit seinem Plan die Familie zusammenhalten zu können, was für ihn oberste Priorität hatte, Ruth entgegnete ihm, wichtiger als zu zusammenbleiben sei zu überleben (ebenda).

Im Sommer 1943 wurden sie mitten in der Nacht von einem Bekannten gewarnt. Er sagte, sie müssten sofort das Haus verlassen, denn am nächsten Tag würden sie sonst verhaftet werden. Es gelang ihnen unbemerkt ihr Haus zu verlassen und für einige Tage in den früheren Geschäftsräumen der Firma, in der Fritz gearbeitet hatte, unterzutauchen. Da hier täglich damit zu rechnen war, dass sie aufgegriffen würden, brachten niederländische Helfer sie in einer zweiten Wohnung unter, wo sie bis zum September blieben. Ruths Mann wurde schließlich von seiner Frau und auch von den niederländischen Helfern der Untergrundbewegung von seiner abwegigen Idee, freiwillig in ein Lager zu gehen, abgebracht und stimmte einer Aufteilung der Familie zu.  

Nach und nach wurden Wolfgang und seine beiden Geschwister von Mitgliedern der niederländischen Untergrundbewegung in Verstecke auf dem Land gebracht: Sein jüngster Bruder Michael kam zu einer christlichen Familie in Nijmwegen und überlebte dort den Krieg,  Heinz Thomas fand bei einer katholischen Bauernfamilie in Swolgen in der Nähe des südholländischen Limburg Unterschlupf. (Seine spektakuläre Überlebensgeschichte schildert er im o.g. Shoa Foundation-Interviewexterner Link). Wolfgang Stein wurde von Mitgliedern der niederländischen Untergrundhelfern in den Osten der Niederlande gebracht; ein ganzes Netzwerk von Helfern unterstützte ihn dabei; er wurde an insgesamt sechs verschiedenen Orten untergebracht, bis er in seinem endgültigen Versteck in Sassenheim ankam.

Im Februar 1944 wurde der damals 14-jährige Wolfgang Stein verraten: In den Morgenstunden tauchten zwei holländische Polizisten auf und drangen mit Pistolen bewaffnet so schnell in die Wohnung ein, dass eine Flucht nicht mehr möglich war. Einer der beiden Polizisten war Wolfgang bekannt. Er hatte ihnen gelegentlich illegale Zeitungen vorbeigebracht und sie offensichtlich verraten. Wolfgang Stein wurde zunächst in Amsterdam inhaftiert und zwei Wochen später von einer holländischen SS- Einheit in schwarzer Uniform mit dem Totenkopf zum Bahnhof getrieben und von dort ins Sammellager Westerbork verschleppt (vgl. Stein, Wolf. Interview 7400. Interview by Sauci Bosner. Visual History Archive, USC Shoah Foundation, 05 December 1995externer Link).

In der Registratur des Lagers arbeitete Helga, eine Bekannte der Familie, die ihre schützende Hand über ihn hielt. Sie konnte zwar seine Deportation letztlich nicht verhindern, aber zumindest dass er auf die Auschwitz-Transportliste gesetzt wurde, was für ihn wohl das sichere Todesurteil bedeutet hätte. Anfang März 1944 wurde er nach Bergen-Belsen deportiert, wo sich seine Eltern bereits befanden. wie er von einem früheren Amsterdamer Lehrer in Westerbork erfahren hatte. Nach einigen Tagen gelang es ihm Kontakt zu seinen Eltern aufzunehmen. Dass alle drei die Strapazen des Lagers überstanden, grenzt an ein Wunder. Insbesondere Wolfgang erkrankte mehrfach ernsthaft und verbrachte von den insgesamt 14 Monaten in Bergen-Belsen 10 bis 11 Monate in der Krankenbaracke. Er infizierte sich zunächst mit Diphtherie und überstand die Krankheit, weil ein Arzt ihm die letzte Dosis eines Antiserums, das er mit ins Lager gebracht hatte, verabreichen konnte. Danach erkrankte er noch an Hepatitis und verschiedenen Typhus-Varianten. Als er Anfang März 1945 die Krankenbaracke verließ, erreichte das massenhafte Sterben im Lager seinen Höhepunkt. Die schockierenden Bilder der Leichenberge sollten sich unauslöschlich in Wolfgangs Gedächtnis einprägen (vgl. ebenda).

Im April 1945 erlebten die Steins die Befreiung durch die Rote Armee. Als sich britische Truppen in den letzten Kriegswochen dem Konzentrationslager näherten, wurden rund 6800 Häftlinge für den Abtransport nach Theresienstadt in drei Transportzügen ausgewählt. Der letzte dieser drei Züge, der sog. „Verlorene Zug“ oder „Zug der Verlorenen“, erreichte sein vorgesehenes Ziel jedoch nicht und kam nach einer Odyssee durch das unbesetzte Deutschland im brandenburgischen Tröbitz zum Stehen. Während der Fahrt starben 198 Menschen: Einige wurden durch tieffliegende Flugzeuge mit Maschinengewehrfeuer und Bomben getötet, andere starben an Krankheiten und Hunger. Unterwegs war aufgrund der katastrophalen hygienischen Verhältnisse eine Flecktyphusepidemie ausgebrochen, was für viele der geschwächten Häftlinge das Todesurteil bedeutete. Immer wieder musste der Zug anhalten, um die Toten auszuladen und neben der Bahnlinie zu vergraben. Am 20. bzw. 21. April 1945 erreichte der Zug schließlich das zwischen Torgau und Cottbus gelegene Tröbitz. Die gesprengte Elsterbrücke verhinderte die Weiterfahrt. Am Morgen des 23. April 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden, die in vielen Waggons inmitten der Toten lagen. Für die Steins bedeutete dies die Rettung, für 320 andere Mithäftlinge kam jedoch jede Hilfe zu spät. Sie starben in den nächsten Wochen an den Folgen der Typhusepidemie und des Transports.

Auch Ernst Wolfgang Stein hatte sich infiziert gehabt, die Krankheit aber sehr geschwächt überlebt. Im Juni 1945 konnte die Familie Stein in die Niederlande zurückkehren. Auch Wolfgangs jüngere Geschwister überlebten, Heinz Thomas war erfolgreich bis Kriegsende untergetaucht und Michael, der von seinen Eltern getrennt wurde, hatte sich bei Nijmegen versteckt und erlebte die Befreiung als Zehnjähriger.

Die Familie lebte in den nächsten Jahren zusammen in Amsterdam, Fotos aus dem Nachlass von Ruth Stein zeigen beispielsweise Wolfgang und seine Geschwister beim gemeinsamen Musizieren in ihrer Amsterdamer Wohnung mit Tante Lilo, der jüngeren Schwester Ruths, die in die Vereinigten Staaten emigriert war und dort später eine berühmte Geigerin wurde.

Wolfgang besuchte das Gymnasium in Amsterdam und war Mitglied im Jüdischen Jugendverband. Er litt noch lange an den Folgen der Tuberkulose, weshalb ihn seine Eltern auch zur Erholung auf das „Lyceum Alpinum“ in Zuoz im Schweizer Engadin schickten. 

Im Interview mit der Shoa Foundation aus dem Jahre 1995 gibt Wolfgang Stein einen sehr persönlichen Einblick in die traumatischen Folgen, die das Leben im Untergrund, vor allem jedoch die schrecklichen Erfahrungen und Eindrücke von Bergen-Belsen für sein weiteres Leben hatten: „ Ich hatte keine geistige Energie und war erschöpft. Mein Geist war leer. Vater war tief enttäuscht über meinen mangelnden Einsatz in der Schule. Er hat nicht verstanden, dass ich jahrelang völlig antriebslos war. Es gab keine innere Kraft in meinem Geist. In meinem Körper war genug Kraft und ich erholte mich langsam. Aber ich hatte keine Energie, um hinter einer Idee zu stehen. Mein ganzes Leben nach dem Krieg war überschattet von [meinen traumatischen Erlebnissen]. Ich konnte mich nicht konzentrieren. Nach der Schule war ich zwei Jahre in der Schweiz in der paradiesischen Bergwelt, hatte eine schöne Zeit beim Bergsteigen und lernte die Schönheit der Berge kennen. Doch dann kam ich zurück und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte studieren. Aber welches Fach? Also habe ich Medizin studiert, aber mein Studium zog sich endlos hin. Schließlich war ich fast am Ende meines Medizinstudiums, doch auf dem Weg zur Prüfung machte ich kehrt und sagte, ich kann nicht teilnehmen" (ebenda). Auch ein zweiter Versuch, die Abschlussprüfung zu absolvieren, schlug fehl, obwohl ihm seine Professoren gut zuredeten und ihn für intelligent hielten. So war Wolfgang Stein jahrzehntelang auf die regelmäßigen Wiedergutmachungszahlungen für Verfolgte des NS-Regimes angewiesen.

Auch emotional litt Wolfgang Stein lange an den Folgen seiner Erfahrungen in der NS-Zeit: „Also habe ich eine Psychotherapie begonnen, aber das hat nicht geholfen, und viele Psychotherapeuten - niemand hat damals verstanden, was passiert ist. Meine intellektuelle Entwicklung fand statt, aber meine emotionale Entwicklung stagnierte völlig. Es gab keine Entwicklung in den Beziehungen mit all ihren Auswirkungen [... ] Jahrelang konnte ich nicht über meine Erfahrungen sprechen [...]" Es gelang ihm auch nicht, längerfristige Beziehungen zu Frauen aufzubauen. Er erklärt dies mit einer Verhaltensweise, die er im Konzentrationslager entwickelt hatte, um zu überleben. „Um zu überleben, muss man Überlebensstrategien entwickeln. Eine der Strategien, die ich entwickelt habe, war: ‚Nicht fühlen! Keine Gefühle zulassen!‘ Das hat mein ganzes Leben nach dem Krieg eine Rolle gespielt, dass ich keine Gefühle ertragen und zulassen konnte. Mein Leben war in dieser Hinsicht ruiniert. Das zog sich über Jahrzehnte hin. Ich war ein Überlebender. Ich hatte kein Recht zu leben. Warum sind all die Menschen gestorben und ich habe überlebt. Es gibt zwei Seiten der Medaille: Ich wollte überleben, aber nachdem ich überlebt hatte, hatte ich lange Zeit das Gefühl, dass ich kein Recht dazu hatte" (ebenda). Unter diesen für viele Shoaüberlebende typischen Schuldgefühlen, hatte Wolfgang Stein lange Zeit zu leiden; das vorliegende Interview von 1995 war sicherlich auch ein Schritt, um seine traumatischen Erfahrungen besser zu bewältigen.

 Seit 2011 lebte Ernst Wolfgang Stein in einem jüdischen Altersheim in Amsterdam (Mitteilung von Dr. Ariane Zwiers, Joods Cultureel Kwartier, Amsterdam). Er starb im März 2020 im Alter von 90 Jahren.

Wolfgangs Vater Fritz starb im Dezember 1956 in Lugano, seine Mutter lebte noch fast 4 Jahrzehnte länger und verstarb im Oktober 1993 in Jerusalem. Sein 1931 geborener Bruder Heinz Thomas, der sich nach seiner Auswanderung in die USA Tom nannte, wurde Psychiater in San Francisco, wo er 2014 verstarb, und Michael, Wolfgangs jüngster Bruder, war als Nahostkorrespondent beim NRC Handelsblad tätig. Er starb 2009 in Amsterdam.

Aus dem Fotoalbum:


Quellenangaben


Bildnachweise


© Collection Jewish Historical Museum  
© Heinz Thomas Stein
Postkarte "Villa Julia" © Katharina Bambach



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