Personendaten


Stein Fritz, Dr.

Nachname
Stein
Vorname
Fritz
Geburtsdatum
11.11.1899
Geburtsort
Nordheim v.d.Rhön
Weitere Familienmitglieder

Eltern: Adolf Stein und Henriette geb. Isaak
Geschwister: Jakob, Max, Rosel, Klara und 2 weitere
Ehefrau: Ruth geb. Kantorowicz
Kinder: Ernst Wolfgang, Heinz Thomas, Uriel Adolf Michael

Adresse

Schönbornstraße 19 (alte Zählung) ("Villa Julia")

Beruf/Ämter
Fabrikdirektor
Emigration/Deportation

September 1937 emigriert nach Amsterdam
deportiert nach Bergen-Belsen
April 1945 befreit

Sterbeort/Sterbedatum
Lugano - 30.12.1956

Biografie


Dr. Fritz Stein war zusammen mit seinem Bruder Jakob Stein Inhaber und Geschäftsführer der Basaltstein GmbH Schweinfurt, eines Unternehmens, das in der Rhön und in der Schweiz eine Reihe von Basaltsteinbrüchen und Basaltwerken betrieb. Er hielt sich Ende der 1920er- und zu Beginn der 1930er-Jahre während der Sommermonate mit seiner Familie in Bad Kissingen auf. 

Fritz Stein kam am 11. November 1899 in Nordheim vor der Rhön als Sohn von Adolf Stein und Henriette geb. Isaak zur Welt. Die Vorfahren väterlicherseits waren dort Viehhändler gewesen, und Fritz’ Vater Adolf hatte 1897 zusammen mit Georg Leimbach die „Leimbach & Co GmbH“ gegründet und in Nordheim ein Basaltwerk errichtet. Beide hatten 50 Prozent Anteil an der Firma. Leimbach war für den technischen Bereich verantwortlich und Stein für den kaufmännischen. Schon 1904 eröffneten sie am Sodenberg den zweiten Steinbruch mit einem Basaltwerk in Morlesau (Stadtteil von Hammelburg) und 1905 das Basaltwerk in Fladungen mit dem Steinbruch am Pfeust. 1911 erwarben sie einen weiteren Basaltsteinbruch in Oberriedenberg am Farnsberg und 1914 kam der Steinbruch am Umpfen mit dem Basaltwerk bei Fischbach/Rhön dazu. In den 1920er-Jahren erwarben die Steins auch Anteile an  einem Basaltwerk in der Schweiz, dem „Basaltwerk Buchs“  bei St. Gallen.

1925 schied Georg Leimbach nach Vereinbarung einer Auszahlung aus der Firma aus und Adolf Stein war jetzt alleiniger Generaldirektor. Georg Leimbachs Sohn Dipl. Ing. Hans Leimbach blieb jedoch weiterhin technischer Direktor der Firma, die jetzt in „Basaltstein GmbH Schweinfurt“ umbenannt wurde. 

Fritz Stein wuchs zusammen mit sechs Geschwistern in einer sehr vermögenden Unternehmerfamilie auf. Im Juni 1903 war die Familie von Nordheim nach Schweinfurt gezogen und lebte dort in einem stattlichen dreistöckigen Wohnhaus in der Schultestraße, das später von den Nationalsozialisten verächtlich als „Judenburg“ bezeichnet wurde. Auch Fritz’ Onkel Salomon zog nach Schweinfurt, wo er als Bezirksrabbiner tätig war.

Die Werke der Basaltstein GmbH galten zur damaligen Zeit als die modernsten und leistungsfähigsten Betriebe ihrer Art durch die konsequente Nutzung der Eisenbahnen zum Abtransport und von Seilbahnen zum innerbetrieblichen Transport zwischen Steinbruch und Gleisanschluss. In den Basaltwerken waren teilweise bis zu 300 Mitarbeiter beschäftigt, die erste größere Industrialisierung in der Rhön, die damals ja ein Notstandsgebiet war. Aufgrund seiner hervorragenden Verdienste wurde Adolf Stein in seiner Heimatgemeinde Nordheim und in der Gemeinde Oberriedenberg deshalb das Ehrenbürgerrecht verliehen, worauf er in beiden Ortschaften eine großzügige Stiftung veranlasste. Wegen seiner Verdienste erhielt er 1928 den Titel „Kommerzienrat“.  Am 21. September 1932 verstarb Adolf Stein nach langem schweren Leiden in Schweinfurt.

Fritz Stein hatte eine hervorragende Ausbildung erhalten, in Heidelberg Philologie studiert und 1922 an der Universiät in München in Ökonomie promoviert. Im März 1928 heiratete er in Berlin die aus Posen stammende Kaufmannstochter Ruth Margot Kantorowicz, mit der er drei Söhne hatte: Ernst Wolfgang (1929), Heinz Thomas (1931) und Uriel Adolf Michael (1935).

Wenige Monate nach der Hochzeit zog das junge Paar im Mai 1928 nach Bad Kissingen und wohnte dort bis Mitte Oktober in der "Villa Julia" in der Schönbornstraße 19, bevor sie nach Schweinfurt zogen. Im August 1929 kam in Schweinfurt ihr erster Sohn Ernst Wolfgang zur Welt. Auch die  Sommermonate 1930 und 1931 (jeweils von Mai bis September bzw. August) verbrachte die Familie noch einmal in der Kurstadt. Die Gründe für diesen Aufenthalt sind nicht bekannt. In den Meldeunterlagen ist nur vermerkt, dass Fritz Stein mit Frau und Kind in Bad Kissingen lebte, jedoch jeden Tag zur Arbeit in seine Firma nach Schweinfurt fuhr.

Seit Herbst 1931 wohnte die Familie wieder ganzjährig in Schweinfurt, wo 1931 und 1935 die jüngeren Söhne Heinz Thomas und Uriel Adolf Michael geboren wurden. Nach dem Tod Adolf Steins im Jahr 1932 übernahmen Fritz und sein Bruder Jakob als Direktoren die Betriebsleitung. Max Stein, ihr jüngerer Bruder, der Rechtsanwalt war, vertrat als Syndikus juristisch die Firma.

Dass der Wohlstand dieser jüdischen Familie den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge war, wird nicht verwundern. Dr. Max Stein, ein überzeugter Zionist und seine Schwester Klara emigrierten deshalb schon 1933 nach Palästina, die Brüder Fritz und Jakob, die ihren florierenden Betrieb nicht aufgeben wollten, sich als gute deutsche Bürger fühlten und aufgrund ihrer Kriegsteilnahme zunächst auch nicht glaubten, dass die Lage für sie gefährlich werden könnte, wurden jedoch bald zur Zielscheibe nationalsozialistischer Angriffe, deren Ziel es war die „jüdischen Anteile [der Firma] in christliche Hände“ zu überführen (Alfred Saam, Das Basaltwerk Oberriedenberg)externer Link.

Bereits im Juli 1933 wurden die Brüder Stein sowie ihr Prokurist und Hausdiener einige Tage in „Schutzhaft“ genommen. Man warf ihnen vor, „durch unwahrhafte Machenschaften die Maßnahmen des Beauftragten der obersten SA- Führung zu diskreditieren …. und falsche Gerüchte in Umlauf“ zu setzen (ebenda)externer Link. Diese Maßnahmen stießen offensichtlich in Teilen der Schweinfurter Bevölkerung auf Unverständnis, da „sie doch anständige Juden gewesen sind, die sozial eingestellt waren und sogar im Jahre 1928 eine Pensionskasse für ihre Angestellten gründeten. Sie hatten auch immer ein offenes Ohr für den kleinen Mann, der in ihren Steinbrüchen arbeitete“ (ebenda). Die Brüder Stein waren gegenüber Forderungen der SPD und der Gewerkschaften aufgeschlossen und sympathisierten auch mit dem "Reichsbanner", einer Massenorganisation, die die Weimarer Republik gegen ihre radikalen Gegner von rechts und links zu verteidigen versuchte.

In den folgenden Jahren versuchten die Nationalsozialisten nach und nach den in jüdischer Hand befindlichen Basaltwerken die Existenzgrundlage zu entziehen, indem sie staatliche Aufträge einstellten und Banken anwiesen, keine Kredite mehr an diese Firmen zu vergeben. Dadurch wurden die Steins gezwungen, 1935 ihre Anteile am Basaltwerk Billstein an einen nichtjüdischen Besitzer zu verkaufen und auch das Basaltwerk Umpfen bei Kaltennordheim an die Hammermühle Bischofsheim abzustoßen, dessen Besitzer die Familie Fichtel von „Fichtel & Sachs“ in Schweinfurt war.

Dr. Fritz Stein war nicht nur als Unternehmer bekannt, er engagierte sich auch in der „Zionistischen Ortsgruppe Schweinfurt“, die er 1933 gründete und bis 1936 als Vorsitzender leitete. Auch seine Frau Ruth Margot gab bis 1936 Unterricht für jüdische Jugendliche in den Räumen der Kultusgemeinde.

1936 kam es dann zur vollständigen Ausschaltung der Brüder Stein aus ihrem Betrieb durch die Arisierungspolitik der NS-Behörden. Laut Gestapoakten waren sie mit ihrem PKW im April 1936 nach Lindau gefahren, um dort in die Schweiz auszureisen und ihr Teilhaberbasaltwerk in Buchs zu besuchen. Da man ihnen Devisenschiebung unterstellte, wurden sie festgenommen und vernommen. Sie verloren ihre Vertretungsbefugnis und Fritz Stein zog daraufhin mit seiner Familie im Mai nach Hamburg. Treuhänder der Firma wurde Peter Heß, der Bruder des "stellvertretenden Führers" Rudolf Heß. Die Gestapo konnte Fritz und seinem Bruder trotz größter Bemühung keine strafbare Handlung nachweisen, wie die Gestapoakten von 1938 belegen: „Ein Verfahren gegen Dr. Fritz und Jakob Stein wegen Betrugs, welches bei der Staatsanwaltschaft Schweinfurt anhängig war, wurde am 30.11.37 eingestellt. Irgendwelche Vorstrafen politischer und krimineller Art sind im Strafregister nicht verzeichnet. Ebenso sind auch schwebende Strafverfahren nicht bekannt geworden. Wenn es auch dem Juden Stein in Deutschland gelungen ist, sich straffrei zu halten, so war er doch durch sein hinterhältiges Verhalten dem Deutschen Reich weit mehr gefährlicher als ein großer Teil seiner übrigen Rassegenossen. Durch seine Zuneigung zum Reichsbanner hat er seine staatsfeindliche Einstellung eindeutig unter Beweis gestellt. Auch auf wirtschaftlichem Gebiet kann man bestimmt annehmen, dass er bei seinen Geschäften mit seiner Zweigstelle in der Schweiz große Vermögenswerte ins Ausland verschleppte. Stein ist deshalb als Volksschädling anzusehen, der nicht würdig ist, noch länger deutscher Staatsbürger zu sein“ (ebd).

Die Gestapo versuchte mit allen Mitteln - aber vergeblich, den Brüdern Stein strafbare Handlungen nachzuweisen, auch eine Mitgliedschaft bei der SPD bzw. dem "Reichsbanner" konnte nicht nachgewiesen werden. So blieb auch das Bestreben, den Brüdern Stein die deutsche Staatsangehörigkeit abzuerkennnen, lange Zeit erfolglos. Erst im Mai 1940 wurde Fritz Stein, seiner Frau und den drei Kindern die deutsche Statsangehörigkeit entzogen und das Vermögen beschlagnahmt.

Nachdem Fritz und Jakob Stein ihre Vertretungsbefugnis für die Basaltstein GmbH verloren hatten, zog die Familie Stein im Mai 1936 zunächst nach Hamburg, wo Fritz eine Arbeit gefunden hatte und die Situation weniger gefährlich schien als in Schweinfurt. Fritz und seine Frau waren sich uneins, wohin sie längerfristig gehen sollten. Fritz, der überzeugter Zionist war, wäre gerne nach Palästina emigriert, wohin 1931 bereits zwei jüngere Geschwister ausgewandert waren. Er spielte mit dem Gedanken, am Toten Meer ein Industrieunternehmen aufzubauen. Ruth fand das Leben in Palästina dagegen für eine Frau wenig attraktiv. Und so besuchten sie 1936 Palästina, um sich ein Bild vor Ort zu machen. Danach entschieden sie sich gegen eine Auswanderung nach Palästina und emigrierten im September 1937 nach Amsterdam. Dort besaß Ruths Onkel Meno Lissauer eine Firma ("Metals and Minerals Association"), die einen Import/Export mit Metallen, Mineralien betrieb, in der Fritz Stein eine Beschäftigung fand. Familie Stein lebte in den nächsten Jahren in durchaus gesicherten finanziellen Verhältnissen, in den Sommermonaten verbrachte man sogar noch gemeinsam Familienurlaub an der Nordseeküste in Zandvoort.

Fritz’ Bruder Jakob gelang es im Dezember 1937 über St. Gallen in der Schweiz nach St. Louis in den Vereinigten Staaten zu fliehen.

Die vermeintliche Sicherheit der jüdischen Emigranten in den Niederlanden erwies sich als trügerisch, Fritz Stein und seine Familie wurden nach dem Einmarsch der Deutschen erneut der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt. Als am 10. Mai 1940 die deutsche Wehrmacht Holland überfiel, zeigte sich, wie unterschiedlich Fritz Stein und seine Frau in solchen Ausnahmesituationen reagierten. Die holländischen Behörden hatten für alle Deutschen eine Ausgangssperre verhängt, und Fritz Stein, der sich immer gesetzestreu und regelkonform verhielt, zögerte etwas zu unternehmen. Ruth dagegen hielt eine sofortige Flucht nach England für geboten. Am 13. oder 14. Mai hatte Ruth ihren Mann Fritz schließlich überzeugt, aus ihrer Wohnung Richtung Küste zu fliehen, um mit einer Fähre England zu erreichen. Sie hatten ein Auto organisiert und je näher sie der Küste kamen, desto heftiger wurde das Bombardement deutscher Flugzeuge. Als eine Straßensperre weniger Kilometer vor der Küste eine Weiterfahrt unmöglich machte, versuchten sie mit ihren Kindern zu Fuß die Fähre zu erreichen. Doch schließlich machten ihnen holländische Soldaten klar, dass ihr Bestreben angesichts des deutsche Bombardements glatter Selbstmord sei. Daraufhin kehrten sie am 15. Mai, dem Tag der niederländischen Kapitulation in ihre Wohnung in Amsterdam zurück (USC Shoa Foundation, Visual History Archive, Interview mit Heinz Thomas Stein)externer Link.

Das Leben ging zunächst scheinbar normal weiter, doch mit der deutschen Besatzung kamen ständig neue Einschränkungen und Verbote für jüdische Bürger auf: Sie mussten in der Öffentlichkeit den Judenstern tragen, duften keine öffentliche Parks mehr besuchen, mussten ihre Fahrräder, ihr Auto und Radio abgeben und durften keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen. Und zwischen 20 Uhr und 6 Uhr morgens galt zudem ein Ausgangsverbot für Juden. Ihre beiden älteren Söhne mussten die öffentliche Schule verlassen und auf eine jüdische Schule gehen. Nach Aussagen von Heinz Thomas besuchte auch Anne Frank diese Schule und war in der Klasse seines älteren Bruders Wolfgang. Nach und nach verschwanden immer mehr jüdische Bekannte, entweder weil sie mit Hilfe der niederländischen Untergrundorganisation untertauchten oder weil sie von den Deutschen aufgegriffen und deportiert wurden.  

Bis Mitte 1943 konnte Familie Stein in ihrer Wohnung bleiben, sie gehörten zu den wenigen jüdischen Familien, die bis zu diesem Zeitpunkt von einer Deportation verschont blieben. Als die Razzien der Deutschen aber immer häufiger wurden, wuchs der Druck auf die Eltern etwas zu unternehmen. Erneut waren Fritz und seine Frau unterschiedlicher Meinung. Fritz Stein, immer gewohnt sich gesetzeskonform zu verhalten, überlegte tatsächlich, sich freiwillig für „eines der besseren" Lager zu melden, in der illusionären Annahme, dass man ihn und seine Familie dort verschonen und besser behandeln würde, aufgrund seiner Verdienste und Auszeichnungen als Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs. Ruth widersprach ihm heftig und sagte, er sei nicht mehr bei Verstand. Fritz Stein glaubte, mit seinem Plan die Familie zusammenhalten zu können, was für ihn oberste Priorität hatte, Ruth entgegnete ihm, wichtiger als zu zusammenbleiben sei zu überleben (ebenda).

Im Sommer 1943 wurden sie mitten in der Nacht von einem Bekannten gewarnt. Er sagte, sie müssten sofort das Haus verlassen, denn am nächsten Tag würden sie sonst verhaftet werden. Es gelang ihnen unbemerkt ihr Haus zu verlassen und für einige Tage in den früheren Geschäftsräumen der Firma, in der Fritz gearbeitet hatte, unterzutauchen. Da hier täglich damit zu rechnen war, dass sie aufgegriffen würden, brachten niederländische Helfer sie in einer zweiten Wohnung unter, wo sie bis zum September blieben. Fritz Stein wurde schließlich von seiner Frau und auch von den niederländischen Helfern der Untergrundbewegung von seiner abwegigen Idee, freiwillig in ein Lager zu gehen, abgebracht und stimmte einer Aufteilung der Familie zu.  

Nach und nach wurden ihr drei Kinder von Mitgliedern der niederländischen Untergrundbewegung in Verstecke auf dem Land gebracht: Ihr jüngster Sohn Michael kam zu einer christlichen Familie in Nijmwegen und überlebte dort den Krieg, ihr zweiter Sohn Heinz Thomas fand bei einer katholischen Bauernfamilie in Swolgen in der Nähe des südholländischen Limburg Unterschlupf. (Seine spektakuläre Überlebensgeschichte schildert er im o.g. Shoa Foundation-Interviewexterner Link). Ihr ältester Sohn Ernst Wolfgang wurde von den Helfern in Ostholland versteckt, zuletzt in Sassenheim. Dort wurde er verraten, im Februar 1944 gefasst und über das Sammellager Westerbork nach Bergen-Belsen deportiert, wo sich auch seine Eltern befanden (Nähere Einzelheiten in seiner Kurzbiografie und in seinem Shoa-Interviewexterner Link).

Fritz Stein, seine Frau und auch sein Sohn überlebten die schrecklichen Lagerbedingungen. Als sich britische Truppen in den letzten Kriegswochen dem Konzentrationslager näherten, wurden rund 6800 Häftlinge für den Abtransport nach Theresienstadt in drei Transportzügen ausgewählt. Auf dem letzten der drei Züge befanden sich die Steins. Dieser Zug, der sog. „Verlorene Zug“ oder „Zug der Verlorenen“, erreichte sein vorgesehenes Ziel jedoch nicht und kam nach einer Odyssee durch das unbesetzte Deutschland im brandenburgischen Tröbitz zum Stehen. Während der Fahrt starben 198 Menschen: Einige wurden durch tieffliegende Flugzeuge mit Maschinengewehrfeuer und Bomben getötet, andere starben an Krankheiten und Hunger. Unterwegs war aufgrund der katastrophalen hygienischen Verhältnisse eine Flecktyphusepidemie ausgebrochen, was für viele der geschwächten Häftlinge das Todesurteil bedeutete. Immer wieder musste der Zug anhalten, um die Toten auszuladen und neben der Bahnlinie zu vergraben. Am 20. bzw. 21. April 1945 erreichte der Zug schließlich das zwischen Torgau und Cottbus gelegene Tröbitz. Die gesprengte Elsterbrücke verhinderte die Weiterfahrt. Am Morgen des 23. April 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden, die in vielen Waggons inmitten der Toten lagen. Für die Steins bedeutete dies die Rettung, für 320 andere Mithäftlinge kam jedoch jede Hilfe zu spät. Sie starben in den nächsten Wochen an den Folgen der Typhusepidemie und des Transports (vgl. Wikipedia-Artikel „Verlorener Zug“).   

Am 22. Juni 1945 konnten die Steins in die Niederlande zurückkehren. Sie hatten überlebt, waren aber völlig entkräftet, gesundheitlich angeschlagen und traumatisiert. Ernst Wolfgang, der an Tuberkulose erkrankt war, kam zunächst in eine Klinik und Fritz und seine Frau wurden vom Roten Kreuz auf einen Bauernhof gebracht, um wieder zu Kräften zu kommen. Erst im Herbst 1945 konnten sie wieder nach Amsterdam in eine eigene Wohnung ziehen. Auch Sohn Heinz Thomas (Tom), der in seinem südholländischen Versteck überlebt hatte, wohnte jetzt wieder bei ihnen. Er hatte sich, nachdem britische Truppen dort eingerückt waren, im Februar 1945 nach Eindhoven durchgeschlagen, war dann kurze Zeit in einem DP-Camp und später bei einer jüdischen Familie, die seine Eltern kannten, untergebracht. Fritz' jüngster Sohn Michael, der bei seinen christlichen Pflegeeltern in der Nähe von Nijmwegen überlebt hatte und christlich erzogen worden war, blieb zunächst noch bei seinen Pflegeeltern, bevor auch er in die Familie zurückkehrte. Er hatte seine Eltern bei der Rückkehr nicht mehr erkannt, so dass die Umstellung für ihn nicht einfach war.

So hatte die ganze Familie Stein unter dramatischen Umständen die NS-Zeit überlebt und auch Ruths jüngere Schwester Lieselotte, die in die USA emigriert war, konnte dem NS-Terror entkommen. Sie wurde eine berühmte Geigerin und heiratete später den Geiger Jakob Glick. Nach dem Krieg fand die ganze Familie wieder in Amsterdam zusammen. Es gibt wunderschöne Fotos im Nachlass von Ruth Stein-Kantorowicz, die ihre Schwester Lilo und ihre drei Kinder beim Musizieren in ihrer Amsterdamer Wohnung zeigen.

Fritz Stein hat sich nach Angaben seines Sohnes Heinz Thomas nie wirklich gesundheitlich von den Folgen des Lagerlebens erholt. Er versuchte 1948 von Amsterdam aus von den Nachfolgefirmen in Deutschland entschädigt zu werden und erhielt für das Basaltwerk Billstein von der Firma „Franz Carl Nüdling“ 30.000 DM Wiedergutmachung  und für das Basaltwerk Sodenberg von Hans Leimbach 75.000 DM (Wikipedia-Artikel „Leimbach & Coexterner Link). Er starb am 30. Dezember 1956 in Lugano im Alter von 57 Jahren, seine Frau Ruth überlebte ihn noch um fast 4 Jahrzehnte, sie verstarb im Oktober 1993 in Jerusalem. Sein ältester Sohn Ernst Wolfgang litt zeitlebens an den traumatischen Erfahrungen während der NS-Zeit und insbesondere seiner Eindrücke von Bergen-Belsen. Er starb im März 2020 in Amsterdam. Heinz Thomas Stein, wanderte 1949 in die Vereinigten Staaten aus. Er stand damals kurz vor seinem 18. Geburtstag und wollte vermeiden, dass er zur niederländischen Armee eingezogen würde und damit Gefahr lief, als Soldat in den niederländischen Krieg zur Rückeroberung der ostindischen Kolonien eingezogen zu werden. In den 1950er Jahren zog er nach San Francisco, wo er Psychiater wurde. Dort starb er im Oktober 2014 (Informationen zu einzelnen Familienmitgliedern, „Joods Cultureel Kwartierexterner Link“). Michael, der jüngste Spross der Familie, wurde später Journalist und war ein überaus engagierter Nahostkorrespondent beim „NRC Handelsblad“, er starb im Juni 2009 in Amsterdam. 

 (Nachruf von Steve Winter, NRC Handelsbladexterner Link/

In Memoriam Michael Stein In Memoriam Michael Stein, 28 KB

 Aus dem Fotoalbum:


Quellenangaben


Bildnachweise


© Collection Jewish History Museum 
Postkarte "Villa Julia" © Katharina Bambach



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