Personendaten


Ehrenreich Wolf Meier

Nachname
Ehrenreich
Vorname
Wolf Meier
Geburtsdatum
09.09.1880
Geburtsort
Bad Kissingen
Weitere Familienmitglieder

Eltern: Lazarus Ehrenreich und Dina geb. Lonnerstädter
Geschwister: Josua Moses, Rifka verh. Jeidel, Miriam verh. Levy
Ehefrau: Margarete geb. Hoffmann
Kinder: Dina und Ernst W. Ehrenreich

Adresse

Theresienstraße 13 (heute 11)

Beruf/Ämter
Handelsreisender - zuletzt Angestellter der Jüdischen Kultusgemeinde
Emigration/Deportation

Mai 1943 deportiert ab Berlin nach Theresienstadt
Oktober 1944 deportiert nach Auschwitz

Sterbeort/Sterbedatum
Auschwitz - Todesdatum unbekannt

Biografie


Wolf Meier Ehrenreich kam am 9. September 1880 als Sohn des Lehrers Lazarus Ehrenreich und dessen Frau Dina geb. Lonnerstädter in Kissingen zur Welt. Die Eltern waren in den 1870er-Jahren in die fränkische Kurstadt gezogen. 1876 gründete Meiers Vater einen „Curmäßigen und streng religiösen Privatkosttisch“, aus dem sich das koschere Restaurant und spätere Hotel und Sanatorium Ehrenreich entwickelte, das noch bis Ende der 1920er Jahre von Wolf Meiers Schwester Rifka und ihrem Mann Emil Jeidel betrieben wurde. Wolf Meier hatte zwei Schwestern, Rifka und Miriam, und einen Bruder, Josua Moses, auch Max genannt.

Wolf Meier und seine Geschwister wurden streng religiös erzogen, die Mutter war Tochter eines Rabbiners aus Veitshöchheim, und der Vater war als Lehrer und Gemeindekantor in Bad Kissingen tätig. Das Hotel Ehrenreich war bei jüdischen Kurgästen als streng koschere Adresse sehr beliebt. 1892 starb Wolf Meiers Vater, seine Mutter führte das Haus weiter, bis auch sie 1901 verstarb. Die „Geschwister Ehrenreich“ betrieben das Haus weiter, insbesondere - wie erwähnt - Rifka Ehrenreich, die 1903 Emil Jeidel heiratete.

Wolf Meier wohnte bei seinen Eltern in der Theresienstraße und besuchte zwischen 1890 und 1897 die Kissinger Realschule, die er erfolgreich abschloss. Danach erhielt eine kaufmännische Ausbildung. Er nahm am Ersten Weltkrieg teil, wurde zum Unteroffizier befördert und kehrte nach Kriegsende zunächst kurz in seine Heimatstadt zurück.

Wolf Meier Ehrenreich war seit 1915 mit der aus Breslau stammenden und in Berlin lebenden Lehrerin Margarete Hoffmann verlobt, die aus Anlass der Verlobung zum jüdischen Glauben übergetreten war. Im Januar 1919 zog Wolf Meier Ehrenreich nach Berlin um und heiratete im März seine Verlobte. Im Dezember 1919 bekamen sie eine Tochter, die sie nach der Großmutter Dina nannten und 1925 folgte das zweite Kind, Ernst Wilhelm. Die Kinder, die sich in den Sommerferien oft in Bad Kissingen bei den Großeltern aufhielten, wurden jüdisch-religiös erzogen.

1920 meldete Wolf Meier die Handelsgesellschaft „Friedemann und Ehrenreich“ an, bald darauf in Ehrenreich & Co. umbenannt, einen Großhandel, der Waren aller Art ex- und importierte.  1929, vermutlich infolge der Weltwirtschaftskrise, wurde der Großhandel aufgegeben und Wolf Meier Ehrenreich beschränkte sich auf Vertretungen. Er arbeitete für vier Firmen, die Toilettenartikel – z.B. Haarnetze – herstellten (vgl. Dr. Michaela Haas, Biografische Zusammenstellung, Stolpersteine in Berlinexterner Link).

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation der Familie weiter und es wurde auch Druck auf das Ehepaar ausgeübt, sich scheiden zu lassen, da Margarete „Arierin“ sei. Nach dem Novemberpogrom 1938 musste Wolf Meier seine Vertretungen niederlegen. Im Dezember 1938 ließ sich das Ehepaar scheiden - Meier Wolf hatte darauf bestanden, denn er glaubte so, seine Frau und seine Kinder besser vor den Diskriminierungen schützen zu können und den Unterhalt der Familie zu sichern, indem Margarete seine Vertretungen fortführte. In der Folgezeit bemühten sie sich mit Hilfe ihres Schwagers, der für sie bürgte, um die Auswanderung, bekamen aber zunächst kein Visum.

Margarete Ehrenreich trat aus der Jüdischen Gemeinde aus und nahm wieder ihren Mädchennamen an. Dass die Scheidung eine fatale Fehlentscheidung war, begriffen die Eheleute erst später. Zunächst führte Margarete zwei Vertretungen ihres Mannes weiter, Wolf Meier wohnte weiterhin in der Wielandstraße, nahm sich aber bald anderweitig zur Tarnung wechselnde möblierte Zimmer. Auch nach der Scheidung hielten die Eheleute engen Kontakt. Die Tochter Dina Ehrenreich absolvierte eine Lehre in einem Berliner Fotoatelier, musste diese jedoch aufgeben, als ihr (jüdischer) Betrieb im November des Jahres aufgelöst wurde. Ihr gelang im April 1939 im Alter von 20 Jahren die Flucht nach England. Über das Rote Kreuz gelang es Margarethe Ehrenreich, Kontakt mit ihrer Tochter zu halten. Der Versuch, für Ernst eine Auswanderung nach Palästina im Rahmen der Hachschara (Hachschara = „Vorbereitung, Tauglichmachung“) zu organisieren, scheiterte, da Ernst für zu schwächlich befunden wurde (Ebd.).

1940 wurde Wolf Meier zur Arbeit zwangsverpflichtet, er konnte bei der Reichsvereinigung der Juden unterkommen und arbeitete erst in der Kleiderkammer, dann in der Friedhofsverwaltung und später als Pförtner in dem Sammellager Große Hamburger Straße 26. Als die Ehrenreichs endlich ein Visum für Kuba bekamen, von wo sie in die USA weiterzukommen gehofft hatten, war es tragischerweise zu spät, denn seit Oktober 1941 war jegliche Auswanderung verboten.

Da Wolf Meier Ehrenreich nach der Scheidung nicht mehr unter dem Schutz der sog. "privilegierten Mischehe" stand, wurde er 1943 zur Deportation bestimmt. Anfang März suchte die Gestapo ihn vergeblich unter seiner offiziellen Adresse, doch wenige Tage später wurde er festgenommen und verhaftet. Im Mai 1943 wurde er mit 99 weiteren Juden nach Theresienstadt deportiert.

Im dortigen Lager herrschten katastrophale Lebensumstände, die viele Insassen dahinrafften. Wolf Meier erhielt regelmäßig Pakete von Margarete, die er jeweils mit einer Postkarte quittierte. Die letzte dieser Postkarten, die Margarete erhielt, war am 26. Oktober 1944 datiert. Als sie sie bekam, war Wolf Meier möglicherweise nicht mehr am Leben: Am 28. Oktober 1944 wurde er weiter nach Auschwitz deportiert. Wahrscheinlich wurde er dort - wie die allermeisten des Transportzuges - kurz nach seiner Ankunft selektiert und in der Gaskammer ermordet, denn es ist nicht davon auszugehen, dass er als 64-Jähriger, durch eineinhalb Jahre Konzentrationslager geschwächt, als „arbeitsfähig“ betrachtet wurde (Ebd.).

Auch Wolf Meiers Sohn Ernst wurde Opfer der NS-Gewaltherrschaft. Anschaulich und detailliert wird dies in der Berliner Stolperstein-Biografie von Michaela Haas dargestellt: „Ernst, der als fröhlicher, Jazz-begeisterter Jugendlicher geschildert wird – er spielte selbst Schlagzeug -, kümmerte sich möglichst wenig um die Verbote für Juden, weigerte sich auch den ab September 1941 vorgeschriebenen Stern zu tragen. Er begann eine Schlosserausbildung, wurde aber 1942, mit 17 Jahren, zwangsverpflichtet bei dem Elektrogerätehersteller Ehrich & Graetz in Treptow, wo er, wie Zwangsarbeiter in anderen Rüstungsbetrieben auch zu arbeiten hatte…

Am 27. Februar 1943, wurden in einer reichsweiten Aktion alle noch in deutschen Betrieben arbeitenden Juden direkt am Arbeitsplatz verhaftet. Diese sogenannte ‚Fabrikaktion‘ fand auch bei ‚Ehrich & Graetz‘ statt, Ernst wurde mit den anderen festgenommen. Als ‚Geltungsjude‘, d.h., nach den NS-Bezeichnungen, jemand, der zwar ein nichtjüdisches Elternteil hatte aber jüdisch-religiös erzogen war, wurde er in der Rosenstraße 2-4 festgehalten, wo auch Ehepartner aus ‚Mischehen‘ interniert waren. Frauen und Angehörige – Margarete war auch sicherlich dabei – sammelten sich in spontanem Protest vor dem Gebäude und verlangten über mehrere Tage die Freilassung ihrer Ehepartner und Kinder. Schließlich wurden nach und nach alle entlassen, auch Ernst. Wie alle anderen bekam er gleich eine neue Zwangsarbeit zugewiesen, diesmal sollte er im Jüdischen Krankenhaus die Leichen von Selbstmördern in den Kühlraum verlagern. Er verweigerte diese Arbeit und meldete sich auch erst nach einiger Zeit beim jüdischen Arbeitsamt – ein Protest, der offenbar zunächst ohne Folgen blieb.

Während einer Abwesenheit von Margarete beherbergte Ernst zwei untergetauchte jüdische Mädchen in der Wohnung in der Wielandstraße 31. Die Gestapo bekam Wind davon, vermutlich durch eine Denunziation, und verhaftete die drei am 30. Juni 1943. Ernst kam ins Polizeigefängnis am Alex und wurde Mitte Juli zunächst in das Jugenderziehungslager Großbeeren eingeliefert, dann in das bei Wartenburg. Von dort kam er am 1. Oktober wieder in das Polizeigefängnis. Margarete erhielt keine Sprecherlaubnis, sie durfte ihm lediglich frische Wäsche bringen. Zwischen Weihnachten und Neujahr sagte man ihr, er sei krank. Am 29. Dezember 1943 wurde Ernst Ehrenreich bewusstlos in das Jüdische Krankenhaus eingeliefert, noch in der Nacht, um 2:00 Uhr, verstarb er. Unklar bleibt, ob er an im Arbeitslager zugezogenem Hungertyphus oder an Misshandlungen im Polizeigefängnis starb – oder an beidem. Sein ‚Nachlass‘, eine lädierte Brille und etwas Wäsche, sollte verrechnet werden mit den Kosten der Behandlung (17.- RM) und des Begräbnisses (270.- RM). Nachdem die Oberfinanzdirektion das ‚Vermögen‘ hatte schätzen lassen (‚1 Posten gebrauchte Garderobe 10.- RM‘), und Margarete bereit war, die Forderungen des Krankenhauses zu begleichen, wurden die Sachen nach über einem halben Jahr ‚freigegeben an die arische Mutter‘.“ (Ebd.).

Nach dem Krieg versuchte Wolf Meiers geschiedene Ehefrau vergeblich, die Scheidung rückgängig zu machen. 1948 trat sie wieder in die Jüdische Gemeinde ein. Sie starb 1956 in Berlin. Tochter Dina heiratete in England einen jüdischen Emigranten.  Wolf Meiers Kissinger Verwandte konnten glücklicherweise rechtzeitig dem NS-Terror entfliehen. Die jüngere Schwester Miriam hatte schon Anfang des Jahrhunderts nach London geheiratet, Bruder Max und seine Frau Elfriede geb. Wolkiser konnten 1939 mit ihren beiden Söhnen in die USA flüchten und die älteste Schwester Rifka und ihr Mann waren in den 1920er Jahren in Bad Kissingen gestorben. Ihre vier Kinder überlebten alle (Ebd.).

(Die detaillierten Informationen verdanken wir größtenteils der Berliner Stolperstein-Biografie von Michaela Haas)

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Familie Ehrenreich von links nach rechts: hintere Reihe: Rosa Lonnerstädter, Moses (Max) Ehrenreich, Willy Jeidel, Wolf Meier Ehrenreich, Chaya Lonnerstädter  vordere Reihe: Emil Jeidel, Rifka Jeidel, Bella Berta (Babette) Lonnerstädter mit Urenkelin Dina Jeidel, Miriam Levy geb. Ehrenreich, Isay Levy 
Ehrenreich
Hotel und Sanatorium Ehrenreich, Theresienstraße 11


Quellenangaben


Stolpersteine Berlinexterner Link
Hans Jürgen Beck, Kissingen war unsere Heimat, Stand April 2017, S.860ff
Binder/Mence, Nachbarn der Vergangenheit, S. 129-133
Gedenkbuch Bundesarchiv Koblenzexterner Link
Yad Vashem Zentrale Datenbank…externer Link
Schülerakte Jack-Steinberger-Gymnasium

Bildnachweise


Porträtfoto: © Sammlung Mence
Familienfoto © Miriam Kreisel
Kissinger Adressbuch 1925/27: © Stadtarchiv Bad Kissingen



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