Personendaten


Wächter Elisabeth

Nachname
Wächter
Geburtsname
Schloß
Vorname
Elisabeth
Geburtsdatum
11.10.1911
Geburtsort
Nürnberg
Weitere Familienmitglieder

Eltern: Siegfried Schloß und Helene geb. Wallersteiner
Geschwister: Lotte und Hildegard verh. Jerusalem
Ehemann: Heinrich (Heinz) Wächter
Kinder: Erika und Martin

Adresse

Salinenstraße 34

Beruf/Ämter
Kindergärtnerin
Emigration/Deportation

Oktober 1938 emigriert nach Göteborg/Schweden

November 1940 emigriert von Yokohama (Japan) nach San Francisco (USA)
 

Sterbeort/Sterbedatum
Eugene Oregon - 24.04.2001

Biografie


Elisabeth Wächter geb. Schloß hielt sich in den Sommermonaten 1930 und 1931 in Bad Kissingen auf und arbeitete in dieser Zeit als Kindergärtnerin in der Israelitischen Kinderheilstätte. Sie kam im Oktober 1911 als zweites Kind von Siegfried Schloß und seiner Frau Helene geb. Wallersteiner in Nürnberg zur Welt und wuchs mit zwei Schwestern, Lotte (1909 - 2001) und Hildegard (1918 - 2004), auf.

Elisabeths Vater Dr. Siegfried Schloß war eine beeindruckende Persönlichkeit, geprägt von einer humanistischen Grundhaltung und großem sozialen und gesellschaftlichen Engagement. Als promovierter Jurist war er von 1907 bis 1938 in Nürnberg tätig, kämpfte als Unteroffizier im Ersten Weltkrieg und war Mitglied in der SPD, im „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" und im „Bund Akademischer Sozialisten". Außerdem war er Gründer und Vorsitzender des „Volksbunds zur Befreiung der Kriegsgefangenen", die LIste seiner ehrenamtlichen Tätigkeiten ließe sich endlos fortsetzen. Sein hauptamtliches Engagement, als Syndikus des Mietervereins Nürnberg galt dem Interessenschwerpunkt Mietsachen. Nähere Einblicke in sein weit verzweigtes Engagement aber auch seine soziale und humanistische Grundhaltung bietet eine lesenswerte Festredeexterner Link zur Ehrung seiner Persönlichkeit durch die Freimaurerloge Nürnberg, deren langjähriges Mitglied er war.

Siegfried schloss
Elisabeths Vater Siegfried Schloss

Elisabeths jüngere Schwester Hildegard charakterisiert ihren Vater:„ [Er fühlte] sich als Bürger der Stadt verantwortlich seinen Mitbürgern gegenüber.[...] Vater fühlte sich als Deutscher, als jüdischer Deutscher. Er glaubte an den Menschen als solchen, an das Gute in ihm. Alle sind gleiche Bürger und müssen versuchen eine bessere Welt zu schaffen, jeder in seinem Kreis, in seinem Volk, er also in Deutschland. Deshalb war Vater in der SPD tätig, gab Kurse an der Volkshochschule und als Rechtsanwalt half er Bedrückten, war z.B. Anwalt des Mieterschutzvereins. In diesem Sinne wurden wir 3 Töchter erzogen: ‚Sei ein nützlicher Mensch in deinem Kreise in dem alle gleich sind, gebe soviel du kannst. Das bringt dir Befriedigung, ist den andern eine Hilfe und fördert das glückliche Zusammensein.‘"

Es verwundert deshalb nicht, dass Elisabeth einen sozialen Beruf wählte und sich zur Kindergärtnerin ausbilden ließ. Im April 1930 trat sie zunächst für eine Kursaison eine Stelle als Kindergärtnerin in der Israelitischen Kinderheilstätte an und wohnte bis Oktober in Bad Kissingen. Auch im nächsten Jahr wohnte und arbeitete sie hier wieder, meldete sich dann im Oktober 1931 endgültig aus der Kurstadt ab.

Wenige Jahre später lernte sie den Berliner Architekten Heinrich (Heinz) Hormuth Wächter kennen. Sie heirateten im Mai 1935 in Berlin Charlottenburg und im Mai 1937 wurde in Berlin ihre Tochter Erika geboren. Die Familie zog nachfolgend nach München und wohnte dort bis zu ihrer Emigration. Im Oktober 1938 flohen die Wächters zunächst nach Göteborg in Schweden, dann - die näheren Umstände sind nicht bekannt - tauchten sie während des Krieges in der japanischen Hafenstadt Yokohama auf und erreichten schließlich mit dem Schiff „Tatuta Maru" San Francisco an der Westküste der USA. 

Elisabeths Vater Siegfried wollte Deutschland zunächst nicht verlassen. Obwohl Töchter ihre Eltern drängten, Deutschland zu verlassen, zögerte er zu lange. Seine Tochter Meira (Hildegard) schildert sein Ringen so: [...] „Vater glaubte nicht, dass es das letzte Wort sein kann. ‚Man muss den Kopf hochhalten und sich nicht unterkriegen lassen. Der Mensch ist nicht schlecht, er ist verblendet, er irrt, das Gute in ihm kommt wieder. Hier bin ich geboren, ich liebe die deutschen Schriftsteller, Philosophen, Komponisten, die Sprache, wie kann ich das alles aufgeben?’“ [...]

In der Pogromnacht im November 1938 musste Dr. Schloß erleben, wie sehr er sich einer Illusion hingegeben hatte. Seine Tochter Meira Jerusalem (Hilde) beschrieb 1966 in einem Manuskript, wie brutal die NS-Schergen im Haus der Familie Schloss wüteten.

„... Die Eltern wohnten mit Grossmutter und einem jungen jüdischen Ehepaar als Untermieter. In dieser Nacht kam eine Horde von 12 SA- Männern, die das ganze Inventar zerstörten. Die Untermieter sprangen vor lauter Schreck vom ersten Stock auf die Straße, der Mann, der sich sein Bein brach, schleppte sich noch auf die Polizei, um Hilfe zu rufen. Man verprügelte ihn grausam. Auch Vater schlugen sie die ganze Zeit auf den Kopf und sagten, er solle gestehen, dass er Verbindung mit dem Ausland hat. Er merkte, er würde die Schläge nicht überstehen, sagte ja und sie hörten auf. Inzwischen hatten die Männer schon alles, was nur möglich war zerbrochen und vernichtet1. [...]

Ein Gesetz, dass man die Wohnungen wieder in Ordnung bringen muss, brachte mich nach Nürnberg. Nach dem Anblick von Vater, der ganz verschwollen, blau, rot und gelb war, machte die Wohnung schon keinen Eindruck mehr auf mich. Es war nicht ein Stuhl von den ungefähr 20 Stühlen, dass man auf ihm sitzen konnte. Die Stühle waren damals sehr stabil aus massiver Eiche. Im grossen Zimmer hatte Mutter alles Kristall und das gute Service zum Verkaufen auf den Ausziehtisch gestellt. Kein Stück ist ganz geblieben. Die Bewohner des Hauses kamen und fingen an zu weinen. Ich konnte für so etwas keine Träne verschütten. Ich war erschüttert von der Barbarei, die ich vorfand. Die versilberten Löffel verbogen, die Schranktüren zerbrochen. In den Ölbildern an der Wand waren Löcher in den Augen, dem Klavier die Saiten durchschnitten. Die Federbetten waren aufgeschlitzt und die Federn verteilten sich in den Räumen. Sogar in der Speisekammer waren alle Einmachgläser zerbrochen worden. Das Blut von Vater war vermischt mit Spritzern von Blaubeermarmelade. Diesen Anblick werde ich nie vergessen.[...]“  ( Manuskript von Meira Jerusalem „Erinnerungen an meinen Vater Justizrat Dr. Siegfried Schloss“, Stadtarchiv Nürnberg, F 5 Nr. 406 in: Festvortrag von Kurt O. Wörl, Schwabach, Der Wahrheit verpflichtet, Erinnerungen an Leopold (Leo) Stahl, Moritz (Fritz) Wertheimer, Dr. Siegfried Schloss, 2007)

Nachdem die Wohnung der Familie in der Pogromnacht im November 1938 völlig demoliert wurde und Dr. Schloß bereits mehrfach inhaftiert worden war, sah auch er ein, dass die Situation für sie lebensbedrohlich wurde. Zum Jahreswechsel 1939/40 als Siegfried Schloss und seine Frau inmitten der Vorbereitung für die Auswanderung waren, wurde Schloß zum fünften Mal verhaftet und ins Gefängnis nach Fürth gebracht, ohne dass ihm ein Haftgrund genannt oder eine Anhörung gewährt wurde. Am 31. Januar schickt er seiner Frau einen letzten Brief aus dem Fürther Gefängnis:

Liebe Helene! Eben wird mir mitgeteilt, dass ich morgen nach Sachsenhausen komme. Mein Gesuch an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin um Genehmigung meiner Auswanderung nach Palästina habe ich abgegeben. Fahr nach Berlin und sprich mit Dr. Jacobi und Dr. Hirsch eventuell sprich selbst vor. Meine Sachen hole hier ab. Ich bin gefasst und ruhig und werde auch diese Zeit dort wie so viele andere ertragen und durchhalten. Mein heisser Wunsch ist nur, dass auch Du bis immer Stärke und Tapferkeit wie bisher bewahrst, damit ich, wenn ich herauskomme, wieder meinen bewährten tapferen Lebenskameraden und nicht ein altes zusammengebrochenes Weib habe. Grüße Mutter und Kinder, sie sollen sich nicht zu grosse Sorgen um mich machen, ich halte durch, wir werden uns wiedersehen. Sei herzlich gegrüsst und geküsst Dein Siegfried"

(zitiert nach Festvortrag von Kurt O. Wörl, Schwabach, Der Wahrheit verpflichtet)

Am 10. März 1940 wurde Frau Schloß zur Polizei vorgeladen. Dort händigte man ihr die Asche ihres zwei Tage zuvor ermordeten Mannes aus.

Elisabeths Mutter Helene gelang - sozusagen im letzten Moment - im Mai 1940 die Flucht nach Göteborg. Ob sich Elisabeth zu diesem Zeitpunkt noch dort aufhielt oder schon auf dem Weg nach Yokohama war, ist nicht bekannt. Helene Schloß überlebte die NS-Zeit und wanderte nach dem Krieg im März 1946 in die Vereinigten Staaten aus. Sie starb 1966 in Israel, wo ihre Töchter Lotte und Hildegard lebten. Lotte war mit ihrem Ehemann Fritz Haas spätestens 1936 nach Palästina emigriert, Hildegard erreichte 1940 mit dem Schiff Haifa.

Elisabeth Wächter blieb mit ihrer Familie nicht lange an der amerikanischen Westküste, sie zog zunächst nach Boston in Massachusetts, wo 1943 ihr Sohn Martin geboren wurde. Als ihrem Mann an der Universität von Oregon eine Architekturprofessur angeboten wurde, zog die Familie in den Nordwesten der USA. Heinrich Wächterexterner Link entwarf in den folgenden Jahren zählreiche bemerkenswerte Gebäude in der Region, beispielsweise „Temple Beth Israel" in Eugene (1952), die Noti School (1956), die Mohawk School (1963), die Odell Lake Lodge (1955) sowie das Pearl Buck Centre, das von seiner Frau gegründet und geleitet wurde.

Elisabeths soziales Engagement, das zweifellos auch durch die oben skizzierte Erziehung in ihrem Elternhaus begründet worden war, bestimmte auch ihr Leben in den USA. 1953 gründete sie in Eugene (Oregon) die Pearl Buck School, eine Einrichtung für Kinder mit Entwicklungsstörungen, die einen ausgezeichneten Ruf hatte und Zulauf nicht nur aus Oregon, sondern aus Kalifornien, Washington und darüber hinaus hatte. Elisabeth war dort eine angesehene Lehrerin und richtete im Lauf der Jahre das Pearl Buck Center externer Linkauf die sich verändernden Bedürfnisse aus, zunächst auf Kinder, dann auf arbeitssuchende Erwachsene sowie auf die Familien von Eltern mit Entwicklungsstörungen. Und schließlich schuf man Unterbringungsmöglichkeiten in einem gemeinschaftlichen Umfeld für Menschen mit schwerwiegenden Persönlichkeitsproblemen und sozialen Defiziten. Elisabeth Wächter war auch an der Gründung der örtlichen Sektion der "Association for Retarded Citizens" beteiligt, einer Organisation, die sich für behinderte Menschen einsetzt (vgl. Nachruf in Corvallis Gazette-Times,externer Link Oregon · 26. April 2001).

Elisabeth-(Lisl)-Wächter-Founder-of-Pearl-Buck-Centre
Elisabeth (Lisl) Wächter, Gründerin und Direktorin des Pearl Buck Centre

Elisabeths Mann Heinrich starb im Januar 1981 in Creswell (Oregon), in der Nähe der Stadt Eugene. Elisabeth überlebte ihren Mann noch um zwei Jahrzehnte. Sie starb in Eugene im April 2001 im Alter von fast 90 Jahren.


Quellenangaben


Personalliste Israelitische Kinderheilstätte, Jahrgang 1930/1931, Stadtarchiv Bad Kissingen

Festvortrag von Kurt O. Wörl, Schwabach, Der Wahrheit verpflichtet, Erinnerungen an Leopold (Leo) Stahl, Moritz (Fritz) Wertheimer, Dr. Siegfried Schloss, 2007  (Herzlichen Dank an den Autor, dem wir viele Informationen zum Leben und Wirken von Elisabeth Wächters Vater Siegfried verdanken, die wir seinem Festvortrag mit Auszügen aus dem Manuskript von Meira Jerusalem „Erinnerungen an meinen Vater Justizrat Dr. Siegfried Schloss“ und Briefen von Dr. Schloss aus dem Fürther Gefängnis an seine Frau entnommen haben)

Freimaurer-Wiki, Die Wertheimer-Schloß-Medaille Festvortrag Für Moritz Wertheimer, Dr. Siegfried Schloß, von Kurt O. Wörl, Schwabach  (kürzere Online-Version)externer Link
Nachruf Elisabeth Wächter, Corvallis Gazette-Time, 26. April 2001externer Link
Datenbank Ancestry, Stammbaum Elisabeth Schlossexterner Link
Datenbank Ancestry, Stammbaum Lotte Schlosexterner Link
Datenbank Ancestry, Stammbaum Hildegard Schlossexterner Link
Datenbank Ancestry, Stammbaum Helene Wallersteinerexterner Link
Datenbank Ancestry, Elisabeth Schloss in der Sammlung Berlin, Deutschland, Heiratsregister, 1874-1936externer Link
Datenbank Ancestry, Elisabeth Waechter in der Sammlung Kalifornien, USA, Listen ankommender Passagiere und Mannschaften, 1882-1959externer Link
Datenbank Ancestry, Massachusetts, USA, bundesstaatliche und föderale Einbürgerungsregister, 1798-1950externer Link
Datenbank Ancestry, Massachusetts, USA, bundesstaatliche und föderale Einbürgerungsregister, 1798-1950 für Elisabeth Waechterexterner Link
Datenbank Myheritage, Elisabeth Waechter In U.S. Sterbe-Verzeichnis der Sozialversicherung (SSDI) externer Link
Datenbank Mapping the Lives, Elisabeth Wächterexterner Link
Datenbank Myheritage, Elisabeth Schlossexterner Link
Datenbank Ancestry, Helene Schloss in der Sammlung Schweden, Auswanderungsregister, 1869-1948externer Link
Datenbank Ancestry, Europa, Registrierung von Ausländern und deutschen Verfolgten, 1939-1947 für Helene Schloßexterner Link
Datenbank Geneanet, Helene Wallersteinerexterner Link
Collections Yad Vashem, Siegfried Schlossexterner Link
Datenbank Myheritage, Siegfried Schlossexterner Link
Datenbank Myheritage, Genicom Stammbaum Lotte Haas geb. Schlossexterner Link
Datenbank Myheritage, Lotte Haas geb. Schlossexterner Link
Datenbank Genicom, Lotte Haasexterner Link
Datenbank Myheritage Lotte Haasexterner Link
Lane Country History Museum, Digital Collections
Wexterner Link
ebsite Pearl Buck Centreexterner Link



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