Die Deportation der Bad Kissinger Juden

Im vorliegenden biografischen Gedenkbuch soll - soweit dies möglich ist - an alle Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnert werden, die in Kissingen geboren wurden oder in der Kurstadt für eine gewisse Zeit ihren Lebensmittelpunkt hatten. Erwähnt werden also nicht nur die Opfer der Deportationen aus Bad Kissingen von 1942, sondern auch Kissinger Juden, die aus anderen Städten in die NS-Vernichtungslager verschleppt wurden. Nicht wenige Kissinger Juden, die in andere Städte verzogen waren, teilweise auch um antisemitischen Anfeindungen in der Anonymität der Großstädte weniger ausgesetzt zu sein, wurden von dort deportiert. Selbst die Flucht ins benachbarte Ausland bot keine zuverlässige Sicherheit. Nach dem Kriegsausbruch und der Besetzung der Niederlande und Frankreichs geriet eine ganze Reihe emigrierter Kissinger Juden (beispielsweise Mitglieder der Familie Adler, Bloemendal, Löwenthal und Rosenau) dort in die Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten und wurde Opfer der Shoa. Mit aufgenommen in die Gedenkliste wurden auch jüdische Bürger, die an den Folgen von „Schutzhaft“ (z. B. Louis Hofmann) oder nach den Gewaltaktionen des Novemberpogroms starben (z. B. Hermann Holländer). Auch Menschen, die aus Verzweiflung über die NS-Ausgrenzungspolitik ihrem Leben ein Ende setzten wie Clara Frank und Stadtrat Otto Goldstein sind zweifellos als Opfer der NS-Gewaltherrschaft zu bezeichnen.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges gab es für Juden in Deutschland kaum noch Chancen zu emigrieren. Die NS-Judenpolitik zielte jetzt vielmehr darauf ab, Juden zu Zwangsarbeit heranzuziehen und durch geeignete Maßnahmen die Deportation und Vernichtung der europäischen Juden vorzubereiten, die dann als sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ auf der Wannseekonferenz vom Januar 1942 detailliert koordiniert wurde.

Nach 1940 erfolgte die zwangsweise Einweisung in sogenannte „Judenhäuser“, um die Juden durch die Konzentrierung auf einige wenige Häuser für die Deportation „verfügbar“ zu machen. In Bad Kissingen mussten die 41 Juden, die im Januar 1942 noch in Bad Kissingen lebten, in nur sieben Häusern wohnen: in der Hemmerichstraße 29 und 33, der Hartmannstraße 5, der Maxstraße 23 a, Am Marktplatz 2, der Unteren Marktstraße 12 und der Erhardstraße 8. Allein im Haus von Nanette Holländer in der Maxstraße mussten sechs Familien unter einem Dach leben.

Die Deportation dieser letzten noch in Bad Kissingen lebenden jüdischen Bürger erfolgte im April und Mai 1942.

 

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Die Deportation mainfränkischer Juden aus Würzburg, 25. April 1942.  © STA Wü Gestapo 18880a


Zunächst wurden am 24. April 1942 23 Kissinger Juden zusammen mit 21 jüdischen Männern und Frauen aus dem Landkreis Bad Kissingen am frühen Morgen mit der Reichsbahn nach Würzburg gebracht, wo sie um 7.20 Uhr am Hauptbahnhof eintrafen.

Von dort wurden sie mit über 800 anderen mainfränkischen Juden zur Sammelstelle im Platz’schen Garten gebracht und durchsucht. Am nächsten Morgen trieb man die 852 Juden durch die Stadt zum Aumühlbahnhof. Dort mussten sie einen Transportzug besteigen und wurden über Bamberg, Saalfeld, Glogau, Kalisch, Radom und Deblin zum Bahnhof Krasnystaw in der Nähe von Izbica gebracht, wo sie nach dreitägiger Fahrt ankamen. Vom Bahnhof in Krasnystaw wurden sie zu Fuß in das Durchgangslager Krasniczyn getrieben. In den darauffolgenden Wochen kamen sie aufgrund der unsäglichen Lebensbedingungen in diesem oder weiteren Lagern um oder wurden in den Vernichtungslagern der Region Lublin ermordet. Keiner der 23 aus Bad Kissingen deportierten Juden hat überlebt.

Im Mai 1942 erfolgte dann die Zwangsverlegung der letzten in Kissingen verbliebenen Juden nach Würzburg in das jüdische Alten- und Krankenheim in der Dürerstraße 20 bzw. in ein als „jüdisches Unterkunftshaus“ bezeichnetes Zwangs- und Sammelquartier in der Bibrastraße 6. Es handelte sich um 18 jüdische Männer und Frauen, die aufgrund ihres hohen Alters am 24. April nicht in die Region von Krasnystaw deportiert worden waren. Am 10. und 23. September 1942 wurden die nach Würzburg verbrachten Kissinger Juden mit der Reichsbahn in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Ein Teil von ihnen starb dort, die übrigen wurden später in andere Vernichtungslager - insbesondere nach Auschwitz - deportiert und dort ermordet. Von den deportierten Juden, die längere Zeit in Bad Kissingen gelebt haben, haben nur Rose Löwenthal und Emilie Schloß die schrecklichen Zustände in Theresienstadt überlebt.

Am 29. Mai 1942 erschien in der Saale-Zeitung die Meldung „Bad Kissingen judenfrei“, in der die Mitteilung des Bürgermeisters, dass „am 20. Mai 1942 der letzte Jude Bad Kissingen verlassen“ habe, mit den Worten kommentiert wurde, dass man „nur mit großer Freude von dieser Mitteilung Kenntnis nehmen und die Bad Kissinger Einwohner sowie die das Bad gern besuchenden Kurgäste zu diesem freudigen Ereignis beglückwünschen [kann]. In Zukunft wird keiner mehr in Bad Kissingen durch den Anblick eines Judensterns unangenehm berührt werden."

 

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Im heutigen Stadtteil Garitz wohnte zu diesem Zeitpunkt allerdings noch ein jüdischer Bürger, Adolf Schönwiesner, dessen jüdische Identität erst 1943 bekannt wurde. Er wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und hat nicht überlebt. Als einzige jüdische Mitbürgerin, die allerdings schon vor 1933 zum Katholizismus konvertiert war, blieb die damals 61jährige Vally Ihl von der Deportation und Ermordung verschont, da sie mit ihrem nichtjüdischen Ehemann Dr. Otto Ihl in einer sogenannten „privilegierten Mischehe“ lebte. Dieser Status schützte sie vor dem Schicksal der Deportation, jedoch nur so lange ihr Mann lebte. Da Otto Ihl erst in der Nachkriegszeit (1961) starb, überlebte seine Frau die NS-Diktatur und starb am 1. August 1949 in Bad Kissingen.