Personendaten


Kissinger Jenny

Nachname
Kissinger
Geburtsname
Baer
Vorname
Jenny
Geburtsdatum
04.11.1884
Geburtsort
Mannheim
Weitere Familienmitglieder

Eltern: Max Baer und Henriette geb. Strauss
Geschwister: Hilde, Richard Moritz, Hellmuth, Bertha
Ehemann: Albert Kissinger
Kinder: MaxErnst

Adresse

Marktplatz 17

Beruf/Ämter
Emigration/Deportation

Dezember 1938 emigriert nach Lausanne
Juli 1939 nach Palästina

Sterbeort/Sterbedatum
Tel Aviv/Israel - 1972

Biografie


Die aus Mannheim stammende Jenny Kissinger geb. Baer wurde am 4. November 1884 als Tochter von Max und Henriette Baer geb. Strauß geboren.

Sie heiratete Albert Kissinger, der am Marktplatz in Bad Kissingen ein angesehenes Herrenkonfektionsgeschäft mit Maßschneiderei besaß und zog zu ihm nach Bad Kissingen. Ihre beiden Kinder Max und Ernst kamen 1908 und 1910 zur Welt. Die Familie fühlte sich in der Kurstadt sehr verwurzelt und Jenny und ihr Mann Albert konnten sich trotz der zunehmenden NS-Repressionen in den 30er Jahren nicht zu einer Flucht aus Deutschland entschließen. Ihr Söhne Ernst und Max waren dagegen schon zu Beginn der NS-Zeit nach Palästina emigriert und versuchten zunächst vergeblich, ihre Eltern zur Flucht zu bewegen

Erst die Gräuel der Pogromnacht 1938 sollten Albert Kissinger die Augen öffnen. Ernst Kissinger erinnert sich: „Er erkannte nun, dass ein Bleiben in Bad Kissingen lebensgefährlich wäre, und entschloss sich daher mit seiner Frau zu einer höchst dramatischen Flucht aus Deutschland. Wie Sie wissen, wurden in der Kristallnacht alle männlichen Juden in Kissingen verhaftet. Mein Vater war damals schon sehr krank (Parkinson) und entging dadurch der Verhaftung. Trotzdem flohen meine Eltern am nächsten Tag, wie sie gingen und standen, an die Nordgrenze (ich erinnere mich nicht an den Namen des Ortes), wo sie zurückgeschickt wurden. Sie fuhren dann durch ganz Deutschland an die Südgrenze, wo sie von der Schweiz hilfsweise hereingelassen wurden, auf Grund von Garantien von ansässigen Schweizer Vettern und Cousinen. Im Juli 1939 konnten sie dann endlich nach hier [gemeint ist Palästina] einwandern. Sie können sich vorstellen, was das für ältere kranke Leute psychisch und physisch bedeutete. Ich gebe Ihnen ja hier nur nackte Tatsachen an, denn was an Leid und Gefühlen sich damals abspielte, kann man gar nicht in Worte fassen. Daß sie ungeschoren im November 1938 noch aus Deutschland rauskamen, grenzt an ein Wunder.“ (zitiert nach H-J. Beck, Kissingen war unsere Heimat, S.494f)

Die Umstände der erzwungenen Auswanderung der Familie nach Palästina werden detailliert von Jenny Kissingers Schwiegertochter Oda geb. Scheuer beschrieben: „Er [= Ernst Kissinger] war 1933 gekommen, hatte in Deutschland schon gelitten, in Kissingen. Man hat ihm in der Schule nach geschrien: `Dreckiger Saujud!´ Er ist mit Anfang 20 allein und ohne Geld als erster seiner Familie ausgewandert, so dass die gesagt hat: `Bist du denn verrückt geworden? In die Wüste? Was willst du da tun?´ Sein Bruder ist nachgekommen, und seine Eltern sind gekommen ganz kurz vor Ausbruch des Krieges, nur mit einem Handköfferchen. Sonst nichts. Nur das, was sie auf dem Leib trugen. Haben alles stehen und liegen lassen in Kissingen, nur weg. Meine spätere Schwiegermutter hatte lange Zeit gesagt: `Es ist doch so schön in Kissingen, warum soll ich denn weg? Wer tut uns denn hier was? Wir sind doch seit Jahrhunderten hier.´ Und die Söhne, die beide schon in Palästina waren, haben getobt und gemacht und getan, bis die Eltern wirklich mit dem letzten Schiff vollkommen zerrüttet hier ankamen. Sie sind vorher noch in die Schweiz gegangen, weil eine Verwandte für sie gebürgt hatte. Da saßen sie monatelang in einem möblierten Zimmer, bis die Söhne das Zertifikat schicken konnten. Meinen Schwiegervater hab ich nicht mehr gekannt, er ist 1941 in der Nacht, wie die italienischen Bomben über Tel Aviv niedergingen, gestorben.“ (von Treuenfeld, Andrea: In Deutschland eine Jüdin, eine Jeckete in Israel. Geflohene Frauen erzählen ihr Leben Gütersloh 2011, S. 173).

Nach ihrer dramatischen Odyssee quer durch ganz Deutschland lebte das Ehepaar Kissinger einige Zeit in Lausanne, ehe es im Juli 1939 nach Palästina auswandern konnte. Dem schwer kranken Albert Kissinger waren jedoch nur noch zwei Jahre in Palästina vergönnt. Er starb 1941 im Alter von sechzig Jahren. Seine Frau Jenny überlebte ihn um 31 Jahre: Sie starb 1972 in Israel hochbetagt im Alter von 88 Jahren. Land und Leute blieben ihr jedoch letztlich fremd, wie ihre Schwiegertochter Oda Kissinger berichtet: „Sie hat sich überhaupt nicht hier eingelebt, konnte sich nicht umstellen und war tief unglücklich hier. Sie war verwöhnt, in Kissingen ging es ihnen sehr gut, dauernd neue Garderoben, das konnte man hier nicht, man hat ja kein Geld gehabt. Und sie kam mit nichts her, das war für sie furchtbar. Und dann das Klima, unter dem sie schrecklich gelitten hat“ (zitiert nach H.J. Beck, S.495).


Quellenangaben


Hans-Jürgen Beck, Kissingen war unsere Heimat, Stand April 2017, S. 494ff
Elizabeth Levy, The Kissinger family, S.33
Datenbank Genicomexterner Link
Meldeunterlagen Stadt Bad Kissingen

Bildnachweise


© Elizabeth Levy



Zurück zur Liste