Personendaten


Kugelmann Heinrich

Nachname
Kugelmann
Vorname
Heinrich
Geburtsdatum
07.11.1911
Geburtsort
Bad Kissingen
Weitere Familienmitglieder

Eltern: Felix und Alice Kugelmann geb. Plaut 
Geschwister:  Herbert
Ehefrau: Toni (Vera) geb. Cohn
Kinder: Vivian Eve und Raymond Steven

Adresse

zunächst Villa Paula Promenadestraße 22 - später Hotel Herzfeld Maxstraße 9 (jeweils heutige Zählung)

Beruf/Ämter
Kunsthändler, Kunstsachverständiger, Restaurator
Emigration/Deportation

1937 emigriert nach New York

Sterbeort/Sterbedatum
Malibu - 10.06.2001

Biografie


Heinrich Kugelmann, der sich nach seiner Emigration in die Vereinigten Staaten Henry Cordier nannte, stammte aus einer alteingesessenen jüdischen Familie, deren Wurzeln sich in Kissingen bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Seit sechs Generationen hatte sich seine Familie mit der Herstellung und Restaurierung kunstvoller Möbel und Antiquitäten beschäftigt. Sein Vater war Möbelfabrikant und Vertreter der berühmten Porzellanmanufaktur in Meißen, und ein Großonkel war Berater der Kunstsammlung im Vatikan.

Heinrich kam am 7. November 1911 als Sohn des Möbelfabrikanten Felix Kugelmann und dessen Frau Alice geb. Plaut in Bad Kissingen zur Welt, im April 1915 wurde sein Bruder Herbert geboren. Nach der Geburt der beiden Söhne erwarb die Familie Kugelmann das Hotel Herzfeld, den heutigen Bayerischen Hof, in der Maxstraße und zog dorthin um. 1921 trat Heinrich Kugelmann in die Kissinger Realschule ein und verließ die Schule 1927 mit der Berechtigung, in die 7. Klasse einer Oberrealschule überzutreten. Wenn die Bemerkungen in der Schülerakte zutreffend sind, so muss Heinrich ein begabter und auch sehr lebhafter und fröhlicher Schüler gewesen sein, denn einer seiner Klassenlehrer bemerkte: „Das Schwätzen, Lachen… ist wohl bei keinem anderen Schüler so ausgeprägt als bei ihm“ (Schülerakte des Jack-Steinberger-Gymnasium). Heinrich und sein Bruder Herbert unternahmen gerne etwas zusammen mit ihren jüdischen und nichtjüdischen Freunden, machten Ausflüge oder ritten in der Au aus. Sie waren wie viele ihrer jüdischen Mitschüler gut integriert in ihrer Umgebung.

Im April 1927 zog Heinrich nach Hildesheim, in die Geburtsstadt seiner Mutter, vermutlich um dort das Abitur abzulegen.Seit April 1930 ist er wieder in Bad Kissingen gemeldet, begann aber wohl mit dem Jurastudium in München. Im Oktober 1932 meldete er sich nach München ab. Schon früh bekam Heinrich Kugelmann die Auswirkungen des verstärkt aufkommenden Antisemitismus zu spüren. Entgegen der Familientradition entschied er sich zunächst für ein Jurastudium. Sein Ziel war es ursprünglich, in den diplomatischen Dienst einzutreten, doch Hitlers Machtergreifung zerstörte diese Pläne. Heinrich Kugelmann, der im November 1933 noch seine 1. Staatsprüfung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München abgelegt hatte, konnte nach der Promotion in Bern zum Dr. jur. aufgrund der antisemitischen NS-Gesetze in Deutschland seine Laufbahn als Jurist nicht fortsetzen. So übernahm er im Oktober 1934 die Filiale seines Vaters in Wiesbaden, wo er nach eigenem Bekunden kaum etwas vom Faschismus bemerkte: „Das Geschäft ging gut, es war wieder Geld da, und wir hatten keine Probleme“. 1935 musste er sich beim Militär melden, wurde aber als Jude nicht eingezogen.

Zwei Jahre später traf er zufällig einen Bekannten im Café Blum, der im Begriff war, nach Amerika zu gehen. Angeregt durch diese Begegnung, entschloss er sich kurzerhand, ebenfalls in die Staaten auszuwandern. „Ich erinnerte mich“, so Heinrich Kugelmann, „an eine Tante von mir in New York, eine Tochter von David Kugelmann, und bat sie um die notwendige Bürgschaft. […] Im Juli 1937 brachten meine Eltern mich zum Kissinger Bahnhof. Es war das erste Mal, daß ich meinen Vater weinen sah. Eine Woche später landete ich in New York (Brief Henry Cordiers vom 25.09.1998 an H.-J. Beck).

Die nächsten Jahre arbeitete Heinrich dort als Verkäufer in einem Möbelgeschäft. Er verhalf seinen Eltern zur Flucht aus Deutschland, zog mit ihnen 1944 nach Kalifornien, wo sie in Beverly Hills ein Antiquitäten- und Porzellangeschäft aufbauten. Auch zahlreiche weitere Freunden und Verwandte unterstützte er bei der Auswanderung, u.a. Josef und Käthe Kauders (nach Schweden), Kurt Wahle (in die USA) und Leo Leuthold, den Sohn seines Großonkels Salomon Leuthold (in die USA). 1938 organisierte er auch ein Treffen der Kissinger Emigranten in New York, den ersten "Kissinger Nachmittag, der gut besucht war" (Persönlicher Brief Henry Cordier, 1991)

Heinrich Kugelmann, der sich jetzt Henry Cordier nannte, entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einem feinsinnigen Kunsthändler, einem renommierten Kunstschätzer und Restaurator von Kunstwerken. Seine Expertise bei Schätzungen hatte in der Kunstbranche und bei Versicherungen einen hervorragenden Ruf. Er habe - so ein Nachruf in der „Los Angeles Times“ - die besten Anlagen eines Kriminalisten, eines Sachverständigen und eines Bibliothekars miteinander vereint und sei zu einem Experten für die Schätzung von Gemälden und anderer Kunstwerke geworden. Seine Gutachten wurden anerkannte Grundlage für die Versicherung dieser Kunstwerke sowie die Rückerstattung gestohlener oder zerstörter Kunstwerke. Er beriet auch Gerichte in Los Angeles, die bei komplizierten Scheidungsprozessen wohlhabender Ehepaare über die Aufteilung des Vermögens zu entscheiden hatten. Darüberhinaus machte sich Henry Cordier mit der Restaurierung von Kunstwerken einen Namen. Er stellte in seiner Firma Kunsthandwerker ein, die häufig bereits in Museen gearbeitet hatten, und ließ wertvolle Kunstwerke akribisch genau wiederherstellen. Ein besonders spektakulärer Fall war in den 1970er-Jahren die Restaurierung eines 30000 Dollar teuren Kronleuchters aus Dresden, der von der Decke gefallen und in 1000 Einzelteile zerbrochen war. Nach mühevoller Kleinarbeit von mehreren Monaten sah der Kronleuchter wieder aus wie zuvor. Aufgrund seiner allgemein anerkannten Kompetenz wurde Henry Cordier zum Präsidenten des „College of Fellows“ der „American Society of Appraisers“ gewählt. Trotz seiner Arbeit mit Antiquitäten hatte Henry Cordier große Freude am Experimentieren mit zukunftsweisenden Technologien wie z.B. dem Einsatz der Solarenergie für Häuser und Autos (Los Angeles Times, Obituaries, Henry Cordier; Fine Art Expert, 15.06.2001).

Heinrich Kugelmann war seit 1939 mit der in Hamburg geborenen Toni (Vera) Cohn verheiratet, mit der er zwei Kinder hatte: Vivian Eve (*1947) und Raymond Steven (*1948). Auch in Tonis Leben spielte die Kunst eine wichtige Rolle. Sie hatte in Hamburg die Mädchenschule Dr. Loewenberg besucht und arbeitete nach ihrer Ausbildung in New York am Pratt Institut, einer der weltweit führenden Kunsthochschulen, und an der Columbia Universität in New York. Herbert und Heinrich Kugelmann, die in den USA den Namen Cordier annahmen, lebten bis zu ihrem Tod in Palm Springs bzw. Malibu. 1998 bemerkte Heinrich/Henry Cordier rückblickend auf seine Geburtsstadt in einem Brief: „Jetzt bin ich 87 und freue mich, daß Kissingen sich noch an uns erinnert (Brief Henry Cordiers vom 25.09.1998 an H.-J.Beck).
Heinrich Kugelmann starb am 10. Juni 2001 in Malibu im Alter von 89 Jahren. Seine Frau Toni überlebte ihn noch um 13 Jahre. Sie wurde fast 100 Jahre alt und starb im Juli 2014.

Toni-Vera-Cohn
Herbert Cordiers Ehefrau - die 1915 in Hamburg geborene Toni (Vera) Cohn. Sie war 1934 in die USA emigriert
Abschiedstelegramm-an-Toni-Cohn
Dieses Abschiedstelegramm erhielt Toni Cohn im Mai 1934, als sie sich auf dem Dampfer „SS Deutschland“ befand und in die USA emigrierte. Ihre Bekannte (eventuell auch Lehrerin?) Jenny Baer wünscht Toni eine „gute Reise in eine glückliche Zukunft“, die ihr selbst nicht vergönnt war. Sie wurde 1943 nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet. Das Abschiedstelegramm befindet sich heute als Schenkung von Toni Vera Cohn im Jüdischen Museum in Berlin.


Quellenangaben


Hans-Jürgen Beck, Kissingen war unsere Heimat, Stand April 2017, S.534ff
Todesanzeige, Juni 2001externer Link
Schülerakte Jack-Steinberger-Gymnasium
Los Angeles Times, Obituaries, Henry Cordier; Fine Art Expert, 15.06.2001externer Link
Meldeunterlagen der Stadt Bad Kissingen
Persönlicher Brief, Henry Cordier, 1991
My heritage Stammbäume, Toni Vera Kugelmann (Cordier) geb. Cohnexterner Link

Bildnachweise


Porträtfoto © Herbert Cordier
Foto Toni Cohn © My heritage Stammbäume, Toni Vera Kugelmann (Cordier) geb. Cohnexterner Link
Abschiedstelegramm an Toni Cohn © Jens Ziehe/ entnommen Facebook-Seite Jüdisches Museum Berlinexterner Link



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