Personendaten
Pick Arthur, Dr.
Eltern: Dr. Sigismund Pick und Ottilie geb. Bernstein
Geschwister: Waldemar, Edith verh. Reissberg, Elsa verh. Österreich
Ehefrau: Bertha geb. Hammerstein
Kinder: Vera Ruth, Werner Rolf Theodor
Kurhausstraße 6 (frühere Zählung - heute 11)
Oktober 1938 emigriert nach England
Biografie
Die Mitglieder der Familie Pick gehörten zur Gruppe der assimilierten Juden. Sie waren getauft und Mitglied der evangelischen Religionsgemeinschaft. Ihre jüdischen Vorfahren waren vielfach schon im 19. Jahrhundert zum Christentum konvertiert. In einer Gesellschaft, in der nach wie vor antisemitische Vorurteile verbreitet waren und man als Jude gesellschaftliche und berufliche Nachteile erfuhr, schien die Taufe die Möglichkeit zu eröffnen, als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Allerdings erwies sich diese Hoffnung spätestens seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten als Illusion. Die auf der Rassentheorie begründete Ausgrenzung und Verfolgung der Juden traf nämlich auch getaufte und assimilierte Juden, die keinerlei Verbindung mehr zur jüdischen Religion und Tradition hatten.
Dr. Arthur Pick, der angesehene Arzt und Besitzer des nach ihm benannten „Sanatoriums Dr. Pick“ in der Kurhausstraße, kam am 6. Dezember 1871 in Simmering/Wien als Sohn des Geschäftsmanns Dr. phil. Sigismund Pick und dessen Frau Ottilie geb. Bernstein zur Welt. Die Familie war wohlhabend und kosmopolitisch. Seine Mutter kam aus Odessa/Ukraine, sein Vater aus Breslau, und der berufliche Werdegang des Vaters als Geschäftsführer verschiedener Firmen führte die Familie quer durch Europa.
Die ersten sechs Lebensjahre verbrachte Arthur in Wien, dann zog die Familie nach England, wo er in Sandbach (Cheshire) zwischen 1879 und 1883 die Grundschule besuchte und fließend Englisch sprechen lernte. Anschließend verschlug es die Familie nach Czszakowa in der Nähe von Krakau (damals zu Österreich gehörend), wo Sigismund Pick Geschäftsführer einer Sodafabrik wurde. Arthur und seine drei Geschwister genossen hier eine unbeschwerte Kindheit, die wohlhabende Familie besaß ein großes Haus mit weitläufigem Grundstück und vielen Dienstboten.
Arthur besuchte das Gymnasium im oberschlesischen Gleiwitz und studierte danach Medizin an den Universitäten Breslau; Berlin, München und Heidelberg. 1897 erhielt er seinen deutschen Doktortitel an der Universität Breslau, einen österreichischen Abschluss an der Universität Krakau, einen englischen Abschluss an der Universität London 1903 und einen italienischen Abschluss in Genua 1901. Es war sicher eine außergewöhnliche Leistung, sich in vier Ländern qualifiziert zu haben, was es ihm ermöglichte, an verschiedenen Orten zu praktizieren.
Er begann seine Laufbahn als Schiffsarzt auf einer Fernostreise nach Asien, weitere Reisen führten ihn auch nach Afrika und Amerika, bevor er sich um 1903 in Karlsbad/Österreich, dem damals wohl angesagtesten Kurbad in ganz Europa als "Kurarzt" niederließ.
Eine seiner ersten Patienten war Henrietta Wolff, die auf der Reise nach Karlsbad von ihrer damals 19-jährigen Enkelin Bertha Hammerstein begleitet wurde. Arthur Pick und Bertha verliebten sich und heirateten am 11.10.1905 in Berthas Geburtsstadt Stettin. Sie stammte aus einer jüdischen Familie, ließ sich aber vor der Hochzeit taufen, wobei der protestantische Pastor, der auch die Trauung vollzog und ein enger Freund ihres Vaters war, sie bei der Hochzeit ermahnt haben soll, „ihr jüdisches Herz zu bewahren“. Dies zeigt das liberale Denken, das damals in diesen Kreisen vorherrschte. Bertha zog nach der Hochzeit zu ihrem Mann nach Karlsbad, wo dieser bis 1909 als Kurarzt praktizierte. 1906 wurde in Charlottenburg ihre Tochter Vera Ruth geboren.
Dr. Pick, der als hervorragender Diagnostiker galt, wollte nicht sein ganzes Leben nur Kurarzt bleiben, sein Ziel war es, ein Sanatorium zu leiten, in dem er sich voll und ganz seinen Patienten widmen konnte. Die Chance dafür eröffnete sich im damaligen „Weltbad“ Bad Kissingen. Im Oktober 1908 zog er in die Kurstadt und erhielt im Mai 1909 die Konzession zum Betrieb eines Sanatoriums in der Kurhaussstraße 6, zentral gelegen, in unmittelbarer Nähe zu den Brunnen, Badehäusern und dem Kurpark. Das Anwesen - ein bis heute unter Denkmalschutz stehendes Jugendstil-Gebäude - war 1905 von Dr. Manfred Bial als Sanatorium nach Plänen des bekannten Bad Kissinger Architekten Carl Krampf erbaut worden.
Dr. Arthur Pick und seine Frau Bertha etablierten dort in den nächsten Jahren ein international anerkanntes Sanatorium für Herz-Kreislauf-und Magen-Darm-Erkrankungen, Nervenleiden sowie Stoffwechsel- und Essstörungen. Dr. Pick war als Chefarzt für die medizinische Leitung des Sanatoriums verantwortlich und seine Frau für die Leitung des Hauses und der Küche.
Während des Ersten Weltkrieges diente das Sanatorium wie andere Kurheime in Bad Kissingen auch als Reserve-Lazarett. Im Jahre 1916 erhielt Dr. Pick die bayrische Staatsbürgerschaft nach dem damals gerade in Kraft getretenen Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz – er war nämlich bisher österreich-ungarischer Staatsbürger, damit waren auch automatisch seine Ehefrau und seine beiden Kinder eingebürgert. Der Antrag wurde von der Stadt Bad Kissingen unterstützt und den bayrischen Behörden, der Kgl. Regierung von Unterfranken und Aschaffenburg in Würzburg, mitten im Ersten Weltkrieg im Jahre 1916 genehmigt.
Nach dem Krieg erlebte das Sanatorium zunächst einen weiteren Aufschwung. Werner Rolf Theodor Pick, der 1913 geborene Sohn Arthur Picks erinnert sich an diese Zeit: „Die galoppierende Inflation in Deutschland Anfang der zwanziger Jahre zog viele Touristen aus dem Ausland an, und das Sanatorium war immer voll. Wir hatten viele polnische Juden als Gäste… Es gab eine ganze Reihe wohlhabender holländischer und englischer Gäste und ziemlich viele wohlhabende Deutsche, die in ihren großen Limousinen mit Chauffeur kamen (ich erinnere mich, dass ich in einem riesigen Maybach-Auto herausgefahren wurde)“(Werner Pick, Memoirs, Claygate 2002). Während der Wintermonate, als das Sanatorium geschlossen war, praktizierte Dr. Pick gelegentlich als Schiffsarzt oder auch als Hotelarzt in San Remo, häufig genoss die Familie dann aber auch schöne Urlaubstage in den Bergen (Garmisch-Partenkirchen, Oberstdorf, Berchtesgaden), wo man sich ein einfaches Haus mietete und endlich Zeit für ein normales Familienleben hatte.
Mitte der 1920er wurde das Sanatorium modernisiert und erweitert. Dies war eine große und teure Investition, die hauptsächlich durch Hypotheken finanziert wurde. Alles lief gut bis zur Weltwirtschaftskrise 1929, als die Besucherzahlen dramatisch zurückgingen und die Bedienung der Schulden extrem schwierig wurde. Nicht nur die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, sondern auch der zunehmende Antisemitismus durch die örtlichen Nazis führten dazu, dass viele jüdische Gäste, vor allem aus dem Ausland, nach 1930 nicht mehr kamen und die Belegung des Hauses immer mehr zurückging. Aufgrund des Geschäftsrückgangs sah sich Pick nach 1930 nicht mehr in der Lage, seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Bank nachzukommen. 1932 wurde angesichts der exorbitanten Verschuldung auf Antrag der Süddeutschen Bodenkreditbank das Sanatorium erstmals unter Zwangsverwaltung gestellt. Das Verfahren zog sich noch bis Februar 1934 hin, als die Bank das Grundstück im Zwangsversteigerungsverfahren zugesprochen bekam (Details zur weiteren Geschichte des Gebäudes).
Arthur Pick und seine Frau meldeten sich im November 1933 aus Bad Kissingen nach Pieve in Ligurien (Italien) ab, in der Absicht, sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Diesen Plan gaben sie aber bald wieder auf und zogen im Sommer 1934 nach Berlin. Dr. Pick konnte dort als Arzt praktizieren und seine Frau eröffnete eine Pension, die sofort erfolgreich war. Die Pension in Berlin lief zwar gut, aber das allgemeine Klima gegenüber Juden verschlechterte sich, so dass es nur eine Frage der Zeit war, dass sie auswandern mussten. Sie erfuhren keine persönliche Verfolgung, außer dass Arthur Pick wegen der Beschäftigung eines "arischen" Dienstmädchens zu einer Geldstrafe verurteilt wurde - eine Straftat in Nazi-Deutschland.
Als während der Sudentenkrise 1938 ein Krieg unmittelbar bevorzustehen schien, befanden sich die Picks zu Besuch bei ihrem Sohn Werner, der bereits Ende 1933 nach England emigriert war. Er wirkte so lange auf seine Eltern ein, Deutschland zu verlassen, dass Arthur nicht mehr nach Deutschland zurückkehrte und Bertha nach der Auflösung der Pension in Berlin Anfang 1939 ebenfalls nach London kam. Mit Mut und Verhandlungsgeschick gelang es ihr sogar, einen erheblichen Teil der Möbel und der persönlichen Habseligkeiten - zum Teil noch aus ihrem Haus in Bad Kissingen - nach England zu schicken.
Dr. Pick - inzwischen fast 67 Jahre alt - konnte aus gesundheitlichen Gründen seinen Beruf nicht mehr ausführen. Als 1940 die deutsche Wehrmacht ihren Krieg im Westen aufnahm, wurde auch er als „feindlicher Ausländer“ mehrere Monate lang auf der „Isle of Man“ inhaftiert. Seine Frau hingegen eröffnete in London mit dem Mobiliar aus Berlin und Kissingen ein Boarding House, das als erster Anlaufpunkt unter anderem der deutschsprachigen Emigranten aus dem Deutschen Reich, der ehemaligen Staaten Österreich und der Tschechoslowakei und sonstiger Staaten in Europa, die von Nazideutschland besetzt worden waren, diente.
Die letzten Lebensjahre wohnten er und seine Frau in der Adamson Road in Hampstead, einem bevorzugten Wohnviertel in London. Arthur Pick starb dort 1956 im Alter von 84 Jahren. Seine Frau überlebte ihn noch bis 1963.
Seine Nachfahren, mittlerweile im Vereinigten Königreich, erhielten im Jahre 2021 die deutsche Staatsbürgerschaft nach Art. 116 Abs. 2 Grundgesetz zurück.
Quellenangaben
Meldeakten Stadt Bad Kissingen (Meldekarten, Familienbogen, Hausakte)
StAWü, WB IV JR 3442 Pick Bertha (früher JRSO)
Werner Pick, Memoirs, Claygate, August 2002 (Die Quelle wurde uns freundlicherweise von Familie Pick zur Verfügung gestellt)
Werner Pick, Aufsatz zum Verhältnis der Familie zum Judentum (Die Quelle wurde uns freundlicherweise von Familie Pick zur Verfügung gestellt)
Wikipedia-Artikel Marinekurlazarett Bad Kissingen
Datenbank Genicom
Andreas Micheli, Heimat, die doch meine Heimat nicht ist, Der deutsch-jüdische Schriftsteller und Arzt Dr. Richard Huldschiner, S.225
Werner Rolf Theodor Pick in memoriam in: Die Pforte, Schulpforta Nachrichten Zeitschrift des Pförtner Bundes e.V., Nr. 70, S. 67 -71
Nachruf Werner Rolf Theodor Pick, The Times, 16.06.2017
Bildnachweise
© Robert Pick
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