Personendaten


Pick Bertha

Nachname
Pick
Geburtsname
Hammerstein
Vorname
Bertha
Geburtsdatum
15.07.1884
Geburtsort
Stettin Westpommern (heute Polen)
Weitere Familienmitglieder

Eltern: Jakob Hammerstein und Frieda geb. Wolff
Geschwister: Hans Ludwig, Erich, Gertrud Rosa Adele verh. Rosenhain
Ehemann: Dr. Arthur Pick
Kinder: Vera Ruth, Werner Rolf Theodor

Adresse

Kurhausstraße 6 (frühere Zählung - heute 11)

Beruf/Ämter
Emigration/Deportation

Anfang 1939 emigriert nach England

Sterbeort/Sterbedatum
London - 30.07.1963

Biografie


Bertha Pick geb. Hammerstein kam am 15. Juli 1884 als Tochter des Amtsgerichtsrats Jakob Hammerstein und dessen Ehefrau Frieda Wolff in Stettin/Westpommern (heute Polen) zur Welt. Die Familie Hammerstein stammte aus Ostpreußen, und Berthas Mutter war die Tochter eines Leipziger Möbelkaufmanns. Sowohl die Hammersteins als auch die Wolffs hielten an der jüdischen Religion fest, ohne sie allerdings aktiv zu praktizieren.

Arthur-&-Bertha-Pick
Dr. Arthur Pick und seine Frau Bertha geb. Hammerstein
Als die damals 19jährige Bertha Hammerstein ihre Großmutter auf einem Kuraufenthalt in Karlsbad begleitete, lernte sie den als Kurarzt praktizierenden Arthur Pick kennen. Sie verliebten sich und heirateten im Oktober 1905 in Stettin. Arthur Pick hatte jüdische Vorfahren, war aber schon als Kind evangelisch getauft worden, so dass auch Bertha - wohl aus praktischen Erwägungen - sich vor ihrer Hochzeit christlich taufen ließ. Der evangelische Pastor, der die beiden traute und vorher Bertha getauft hatte, hatte ihr den Rat gegeben, sich „ihr jüdisches Herz zu bewahren.“ Wie wenig dogmatisch die Hammersteins in Glaubensfragen dachten, beweist auch Jakob Hammersteins Haltung. Der erwähnte örtliche evangelische Pastor war ein enger Freund von ihm, der 1901 auch seine Beerdigung durchgeführt und die Grabrede gehalten hatte - ohne dass Berthas Vater zum christlichen Glauben übergetreten war. Nach ihrer Hochzeit zog Bertha zu ihrem Mann nach Karlsbad. Im nächsten Jahr kam ihre Tochter Vera in Charlottenburg zur Welt. Ende 1908 zog die Familie nach Bad Kissingen und übernahm dort von Dr. Manfred Bial das Sanatorium in der Kurhausstraße 6 (frühere Zählung - heute 11). Dr. Arthur Pick und seine Frau Bertha etablierten dort in den nächsten Jahren ein international anerkanntes Sanatorium für Herz-Kreislauf-und Magen-Darm-Erkrankungen, Nervenleiden sowie Stoffwechsel- und Essstörungen. Berthas Mann war als Chefarzt für die medizinische Leitung des Sanatoriums verantwortlich und sie für die Leitung des Hauses und der Küche, die in einer solchen Einrichtung natürlich eine wichtige Rolle spielte und hohes Ansehen genoss.

1913 wurde in der Kurstadt ihr Sohn Werner Rolf Theodor geboren. Auch wenn während der Kursaison wenig Zeit für ein normales Familienleben blieb, weil die Eltern sich voll dem Sanatoriumsbetrieb und den Gästen widmeten, so kümmerte sich Bertha doch liebevoll um ihre Kinder und ging beispielsweise im Sommer mit ihnen noch vor dem Frühstück zum Baden in die nahe gelegene Saale. Bertha Pick und ihr Mann hatten kein großes gesellschaftliches Leben. Am Ende der Saison gab es ein paar Dinner-Partys mit anderen Ärzten, aber während der Saison waren alle zu beschäftigt, um Kontakte zu pflegen. Die Wintermonate verbrachten die Picks dann häufig in den Bergen (Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Berchtesgaden) wo man sich ein einfaches Haus mietete und endlich Zeit für ein normales Familienleben hatte.

Im Jahre 1916 erhielt Bertha Pick – zusammen mit ihrem Mann und beiden Kindern - die bayrische Staatsbürgerschaft nach dem damals gerade in Kraft getretenen Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz – sie war nämlich seit 1905, dem Datum der Heirat mit Dr. Pick, österreich-ungarische Staatsbürgerin geworden. Der Antrag wurde von der Stadt Bad Kissingen unterstützt und den bayrischen Behörden, der Kgl. Regierung von Unterfranken und Aschaffenburg in Würzburg, mitten im Ersten Weltkrieg im Jahre 1916 genehmigt.

Sanatorium-Pick-1,-1923

Sanatorium-Pick-4

Bis Mitte der 1920er-Jahre lief der Sanatoriumsbetrieb sehr erfolgreich, und die Familie genoss den Wohlstand des Hauses. Als nach der kostspieligen Modernisierung des Anwesens 1923/24 seit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und mit dem Anwachsen des Antisemitismus vor allem die ausländischen Gäste zunehmend ausblieben, geriet das Sanatorium ab 1930 in große wirtschaftliche Schwierigkeiten. Dr. Pick konnte keine Zahlungen mehr an die Bank leisten, so dass die Rückstände und Verbindlichkeiten immer mehr anwuchsen. Im Februar 1934 verloren die Picks ihr Haus in einem Zwangsversteigerungsverfahren an die Süddeutsche Bodenkreditbank.

Bertha Pick ließ sich trotz aller Rückschläge nicht entmutigen. Im November 1933 verließen die Picks Bad Kissingen Richtung Italien und planten in Pieve/Ligurien eine Pension aufzubauen. Als sich dies nicht realisieren ließ, zogen sie nach Berlin, Bertha Pick eröffnete dort eine Pension, und ihr Mann praktizierte als Arzt. Berthas Pension am Kurfürstendamm wurde sofort ein Erfolg, und es gelang ihr sogar, all ihre Wäsche, Silber, Geschirr und einige Möbel aus Kissingen an die Spree zu bringen. Das Leben in Berlin war 1934 für die jüdische Bevölkerung noch einigermaßen erträglich, und es herrschte eine recht gute Atmosphäre in der Pension.

In den nächsten Jahren zeichnete sich allerdings ab, dass sie über kurz oder lang emigrieren mussten. Ihr Sohn Werner, der schon im November 1933 nach England emigriert war, konnte seine Eltern schließlich davon überzeugen, Deutschland zu verlassen. Er hatte sie Weihnachten 1934 in Berlin besucht, und Bertha und Arthur konnten ihren Sohn in England ebenfalls besuchen.

Während ihres Aufenthalts in London im Jahr 1936 begann sie, die Möglichkeiten der Gründung einer Pension in London auszuloten. Das hohe Ansehen ihrer Pension in Berlin hatte sich in der jüdischen Flüchtlingsgemeinde verbreitet, und sie wurde mit Lily Sachs, der Besitzerin einer Pension in der Adamson Road 4, Swiss Cottage, in Kontakt gebracht. Sie begannen über die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zu diskutieren, da eine große Nachfrage nach solchen Unterbringungsmöglichkeiten bestand, in denen vor allem ältere Mitglieder der Flüchtlingsgemeinschaft ein vorübergehendes oder sogar dauerhaftes Zuhause finden könnten. Ihr Talent, ein Haus zu führen und gute Küche zu bieten, ergänzten die von Lily Sachs, deren Talente eher auf der sozialen Seite waren. Auf jeden Fall war der Grundstein für eine später erfolgreiche Partnerschaft gelegt.

Ihr Mann Arthur kehrte von einem gemeinsamen Englandbesuch im Oktober 1938 nicht mehr nach Deutschland zurück, und Bertha reiste nochmals kurz nach Berlin zurück, um ihre Pension aufzulösen. Mit großem Mut und viel Verhandlungsgeschick erreichte sie es, einen Großteil ihrer Habseligkeiten nach England bringen zu lassen, bevor sie Anfang 1939 ebenfalls nach London emigrierte.

Bertha Pick war eine überaus pragmatische und lebenstüchtige Person, die nie aufgab und sich ihren Optimismus zeitlebens bewahrte. Obwohl sie in dieser Zeit hart arbeiten musste, war sie immer gut gelaunt und beklagte sich nie (vgl. Werner Pick, My Memoirs, Claygate 2002). Es gelang ihr, zusammen mit Lily Sachs in der Adamson Road, einem vornehmen Londoner Stadtteil, eine Pension aufzubauen, die sofort erfolgreich war, so dass die Familie die schwierigen Kriegsjahre recht gut überstand. Diese Pension, ein sog. Boarding House, diente als erster Anlaufpunkt unter anderem der deutschsprachigen Emigranten aus dem Deutschen Reich, der ehemaligen Staaten Österreich und der Tschechoslowakei und sonstiger Staaten in Europa, die von Nazideutschland besetzt worden waren. 

Auch Berthas Geschwister Erich und Trude überlebten die NS-Zeit, dagegen wurde ihre 83-jährige Mutter Frieda von Berlin nach Theresienstadt deportiert und starb nur wenige Monate später im November 1942 an den unsäglichen Lebensbedingungen im Lager.

Nach dem Krieg stellte Bertha Pick vor der Wiedergutmachungsbehörde einen Antrag auf Rückerstattung ihres Sanatoriums in Bad Kissingen, der aber ohne Erfolg blieb. Eckhardt König, der Anwalt der Picks, hatte die Klage damit begründet, dass der wirtschaftliche Niedergang des Sanatoriums seit Ende der 1920er-Jahre auf den frühen Antisemitismus der örtlichen NSDAP schon lange vor der „Machtergreifung“ zurückzuführen sei. Dieser habe dazu geführt, dass besonders die bestzahlenden Gäste aus dem Ausland ausgeblieben seien. Daraus hätten sich dann die finanziellen Schwierigkeiten für die Sanatoriumsbesitzer Pick ergeben. Außerdem warf die Klage der Süddeutschen Bodenkreditbank vor, die das Zwangsversteigerungsverfahren beantragt und 1934 den Zuschlag für das Anwesen erhalten hatte, aus antisemitischen Motiven das Zwangsversteigerungsverfahren forciert zu haben. Der Wert des Hauses sei erheblich höher gewesen als die Summe von 175 000 RM bei der Zwangsversteigerung.

Die Antragsgegner wiesen den Rückerstattungsanspruch zurück und erklärten, dass die erhebliche Verschuldung lange vor 1933 zurückliege (Grund sei ein Umbau des Hauses Mitte der 1920er-Jahre gewesen) und nicht Folge einer rassischen Diskriminierung/Verfolgung gewesen sei, vielmehr sei die Zwangsversteigerung rein wirtschaftlich begründet gewesen und im Sinne der Gläubiger unvermeidlich. Auch bei einem nichtjüdischen Schuldner hätte die Bank angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Situation des Sanatoriums nicht anders gehandelt.

In der Entscheidung der Wiedergutmachungskammer des Landgerichts Würzburg wurde Bertha Picks Forderung nach Rückerstattung abgewiesen. In der Begründung wurde angeführt, dass „kein schwerer Verstoß oder unbilliges Ausnutzen der Lage der Antragstellerin etwa durch rassische Verfolgungsmaßnahmen nachweisbar“ sei. Angesichts der exorbitanten Verschuldung (Schuldenmasse von 436.135 RM im Jahr 1932) und wenig erfolgsversprechender Sanierungsvorschläge vonseiten der Sanatoriumsbetreiber lägen vielmehr „beachtliche allgemein gültige Gründe“ vor, die eine Zwangsversteigerung rechtfertigen. Auch ein Einspruch Bertha Picks gegen das Urteil wurde vom Oberlandesgericht des Wiedergutmachungssenats München Anfang 1954 abgelehnt.

Berthas Mann Arthur konnte aus gesundheitlichen Gründen seinen Arztberuf in England nicht mehr ausüben. Er starb 1956 im Alter von 84 Jahren. Bertha war eine liebevolle Großmutter für ihre Enkel und erlebte noch die Geburt ihres ersten Urenkels, bevor sie drei Monate später im Juli 1963 in London starb.

Ihre Nachfahren, mittlerweile im Vereinigten Königreich, erhielten im Jahre 2021 die deutsche Staatsbürgerschaft nach Art. 116 Abs. 2 Grundgesetz zurück.


Quellenangaben


Meldeakten Stadt Bad Kissingen (Meldekarten, Familienbogen,Hausakte) 
StAWü, WB IV JR 3442 Pick Bertha (früher JRSO)
Werner Pick, Memoirs, Claygate, August 2002 (Die Quelle wurde uns freundlicherweise von Familie Pick zur Verfügung gestellt)
Werner Pick, Aufsatz zum Verhältnis der Familie zum Judentum (Die Quelle wurde uns freundlicherweise von Familie Pick zur Verfügung gestellt)
Datenbank Genicomexterner Link
Bundesarchiv Koblenz, Gedenkbucheintrag Frieda Hammerstein externer Link

Bildnachweise


© Robert Pick



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