Personendaten


Neumann Karl

Nachname
Neumann
Vorname
Karl (Carl)
Geburtsdatum
19.08.1860
Geburtsort
Jastrow/Westpreußen
Weitere Familienmitglieder

Eltern: Markus Neumann und Sara geb. Frank
Ehefrau: Klara geb. Löwenthal
Kinder: Julius und Elsa (Else) verh. Wolff

Adresse

Ludwigstraße 9 (heutige Zählung)

Beruf/Ämter
Textilkaufmann
Emigration/Deportation

Mai 1942 Zwangsverlegung ins Jüdische Altersheim Würzburg
September 1942 deportiert nach Theresienstadt

Sterbeort/Sterbedatum
Theresienstadt - 18.12.1942

Biografie


Karl Neumann kam am 19. August 1860 als Sohn von Markus Neumann und dessen Ehefrau Sara geb. Frank in Jastrow in Westpreußen zur Welt.

Nach seiner Heirat mit der Kissingerin Klara Löwenthal im Oktober 1893 lebte er in der fränkischen Kurstadt und besaß spätestens seit 1902 ein Wohn- und Geschäftshaus in der Ludwigstraße. Ihre beiden Kinder Julius und Else wurden 1894 und 1895 geboren. Am 30. April 1903 hatte Karl Neumann das Bad Kissinger Bürgerrecht erhalten. Er war Kaufmann und betrieb in der Kurstadt ein vornehmes Modehaus für Herrenkleidung. Karls Ehefrau Klara starb bereits im April 1915.

Die Familie Neumann wurde schon bald zur Zielscheibe des NS-Terrors: Karls Sohn Julius, der inzwischen das Geschäft seines Vaters führte, wurde wegen angeblicher „marxististische[r] und kommunistische[r] Umtriebe“  im März 1933 für zwei Monate in „Schutzhaft“ genommen. Ihr Geschäft wurde auch von den Boykottaktionen und 1935 auch von einem Anschlag betroffen. In der Nacht zum 20. August 1935 wurde - wie in einer Reihe anderer jüdischer Geschäfte - eine ätzende Flüssigkeit durch die Schüssellöcher der Ladentüren gespritzt, „die einen sehr unangenehmen Geruch verbreitete“ und Vorhänge und Fußteppiche in den betroffenen Läden beschädigte (vgl. Staatsarchiv Würzburg, Landratsamt Bad Kissingen:1153 Politische Halbmonats- und Monatsberichte der Gendarmeriestationen an das Bezirksamt 1935).

Als im Jahr 1938 jüdische Geschäftsleute immer häufiger zur Geschäftsaufgabe gezwungen wurden, war es auch  Karl Neumann klar, dass die Schließung seines Geschäftes nur noch eine Frage der Zeit war. Er nutzte deshalb die Kursaison, um mit dem Ausverkauf seiner Waren zu beginnen. Obwohl immer wieder SA-Posten vor seinem Geschäft standen, ließen sich viele Kurgäste nicht davon abhalten, bei Neumanns einzukaufen, und viele seiner alten Kissinger Stammkunden wählten den Hintereingang.

Philipp Dees, der 31 Jahre lang als Zuschneider in der Fa. Neumann angestellt und bis zur Auflösung des Geschäfts dort tätig war, hatte die Repressionen und den Terror gegen die Neumanns aus nächster Nähe miterlebt: "Nun kam der 9. November, die bekannte Nacht, wo die SA und die SS die Schaufenster eingeschmissen haben und auch teilweise geplündert. Die Polizei hat diesem Terror freien Lauf gelassen, auch kein Gericht hat sich darum gekümmert. Als ich am Morgen ins Geschäft kam, waren beide Schaufenster zerschlagen und im Laden lagen Kleidungsstücke und Wäsche am Boden und Haufen Glassplitter, ein trauriges Bild. Das Personal, die Verkäuferinnen und ich standen ratlos... Herr Neumann sen. und Neumann jun. waren beide verhaftet, Herr Neumann sen. kam nach drei Tagen wieder aus der Schutzhaft und Julius Neumann kam nach Dachau...Mit dem Hausverkauf war die Sache so: Herr Neumann hatte das Geschäft erhalten für seinen Sohn Julius, der schon Miteigentümer war. Wir hatten unter uns einen Plan gemacht, Herr Neumann wollte mir das Geschäft geben und später, wenn der Nazi-Spuk vorüber war, hätte ich es wieder Herrn Neumann zurückgegeben, aber leider hätte das das früher geschehen müssen, das hatte Herr Neumann zu lange hinausgezögert. Nach dem 9.  November schickte mich Herr Neumann zur Kreisleitung und [ich] habe auch Kreisleiter Heimbach persönlich gesprochen, habe meinen Antrag in höflicher Form vorgebracht. Herr Heimbach sagte mir sogleich, das haben sie zu spät erfasst, das Haus ist bereits vergeben, ich sagte ihm, nein es ist noch nicht zugeschrieben, es ist noch Zeit. Da wiederholte H. Heimbach, es ist vergeben. Ich sagte ihm, ich habe schon vor einem halben Jahr gewusst, wer das Haus bekommt. Dann wurde H. Heimbach zornig und sagte zu mir, reden Sie nicht so anzüglich, Sie sind schon bekannt, sind Sie sehr vorsichtig, ich habe H. Heimbach verstanden (Dachau). Als Nazi-Gegner war ich bekannt.

Herr Neumann zeigte mir einen Brief von Gauwirtschaftberater Dr. Vogel aus Würzburg betreffs Hausverkauf, welcher schrieb, Sie [Neumann!] haben weder das Recht den Käufer zu bestimmen noch den Preis. Also die Partei hat hier entschieden , wie vorauszusehen war, ich hatte recht, es war von langer Hand vorbereitet. Herr Neumann wurde gezwungen in Kissingen zu unterschreiben, und sein Sohn Julius in Dachau. Herr Almstedt hat seinen Schwager J. Bauch (Kreispropagandaleiter) v. Kissingen mit nach Dachau genommen, und da hat Herr Almstedt die Unterschrift von Neumann jun. geholt" (Eidesstattliche  Erklärung Philipp Dees, Reiterswiesen, 16.04.1953). Almstedt begnügte sich nicht mit dem Kauf des Anwesens, er drängte jetzt auch auf Räumung des Geschäfts, um ein Restaurant und einen Delikatessenladen eröffnen zu können. Treibende Kraft in diesem "Arisierungsverfahren" war Josef Sellmaier, Kreiswirtschaftberater der NSDAP und gleichzeitig Direktor der Bad Kissinger Filiale der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank. Er hatte zusammen mit Almstedt Karl Neumann am 26. November 1938 zum Verkauf seines stattlichen Anwesens gezungen. Beide nötigten Karl und Julius Neumann nur kurze Zeit später zum Räumungsverkauf und zur Auflösung ihres Geschäfts. Auf Anordnung des Kreiswirtschaftsberaters und unter Mitwirkung der Industrie- und Handelskammer Würzburg wurden zwei sog. "Vertrauensmänner" eingesetzt, die den Räumungsverkauf überwachten, die Einnahmen entgegennahmen und auf ein Sperrkonto einzahlten, auf das die Neumanns keinen Zugriff hatten. Herr Almstedt eröffnete dann in den Geschäftsräumen ein Feinkost- und Delikatessengeschäft.

Karl Neumann und sein Sohn Julius bemühten sich angesichts der zunehmenden Bedrohung spätestens seit Anfang 1938 um eine Auswanderung nach Neuseeland, wo Karls Tochter Else und ihr Mann mittlerweile lebten, hatten jedoch keinen Erfolg mit ihren Bemühungen, die sich mit Kriegsbeginn endgültig zerschlugen. Am 1. Februar 1940 mussten der Witwer und sein Sohn in die Maxstrasse 23a ins Haus der Familie von Hermann Holländer - eines der sogenannten „Judenhäuser“-  umziehen. Die früheren Modehändler werden nun zu einfachen Arbeiten wie Straßenkehren oder Kanalreinigung gezwungen. Nach mündlicher Überlieferung soll Karl Neumann, inzwischen ein Mann von 80 Jahren, immer wieder zu Reinigungsarbeiten herangezogen worden sein.

Neumann wurde am 1. Mai 1942 in Kissingen abgemeldet und gilt als verzogen in ein Würzburger Altersheim. Von dort wurde er im Alter von 82 Jahren am 23. September 1942 über Nürnberg mit Transport II/26 ins Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er zu Tode gekommen ist. Als einzigen Hinweis auf den Todeszeitpunkt gibt es einen Vermerk in den Einwohnermeldeakten Bad Kissingens. Am 18. Dezember 1942 wird beim Amtsgericht Bad Kissingen sein Ableben vermerkt (vgl. Thomas Künzl, Stolpersteinbiografie).

393_Herrenmodegeschäft Karl Neumann
Herrenmodehaus Carl Neumann - das von seinem Sohn Julius weitergeführt wurde

393_Modehaus-Neumann
Werbeannonce Kissinger Adressbuch 1925/27

                                                               

393_Karl Neumann (dritter von rechts in fröhlicher Kartenrunde
Karl Neumann (dritter von rechts) in fröhlicher Kartenrunde


Quellenangaben


Bad Kissinger Stolpersteinliste, Biografie Karl Neumann, verfasst von Thomas Künzlexterner Link
Gedenkbuch Bundesarchiv Koblenzexterner Link
Yad Vashem Zentrale Datenbank…externer Link
Meldeakten der Stadt Bad Kissingen
Beck/Walter, Jüdisches Leben in Bad Kissingen, S. 170ff 
StaWü WB IV A 2023 Wolff Else/Edwin 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         

Bildnachweise


Porträtfoto © Georg Straus (von Hans-Jürgen Beck erhalten)
Fotos Geschäft und Kartenrunde © Sammlung Mence
Werbeannonce: Kissinger Adressbuch 1925/27 © Stadtarchiv Bad Kissingen



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