Personendaten


Ehrlich Fritz (Fred)

Nachname
Ehrlich
Vorname
Fritz (Fred)
Geburtsdatum
15.11.1922
Geburtsort
Bad Kissingen
Weitere Familienmitglieder

Eltern: Franz und Adele Ehrlich geb. Leven
Schwester: Felicitas (Liesel) verh. Schreiber
Ehefrau: Ellen geb. Ramsay
Kinder: David, Dan

Adresse

Ludwigstraße 17 (heute 10)

Beruf/Ämter
Emigration/Deportation

April 1937 emigriert nach London

Sterbeort/Sterbedatum
Birmingham - 06.06.2016

Biografie


Fritz Ehrlich wurde am 15. November 1922 in Bad Kissingen als erstes Kind von Franz und Adele Ehrlich in eine wohlhabende und angesehene jüdische Kaufmannsfamilie geboren. Sein Vater führte zusammen mit dessen Bruder Ludwig das renommierte „Modehaus Felix Ehrlich“ in der Ludwigstraße.

Fritz erlebte zunächst eine unbeschwerte Kindheit, bevor die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Zu seinen Hobbys gehörte es, mit dem Fahrrad durch die Gegend zu streifen, auf dem Grundstück der Ehrlichs neben dem jüdischen Friedhof mit anderen Jungs Fußball zu spielen, im Winter auf der Eisbahn im Rosenviertel Schlittschuh oder in der Rhön Ski zu laufen. Rückblickend beschreibt sich Fritz Ehrlich (der sich nach der Emigration Fred nannte) als zurückhaltendes, eher schüchternes Kind, dem es nicht leicht gefallen sei, Freunde zu finden (USC Shoa Foundation, Visual History Archive, Interview mit externer LinkFred Ehrlich)externer Link. Langeweile kam im großen Ehrlichs-Haus freilich nicht auf. Fritz erinnert sich, dass sie „alle eine riesige, große Familie waren. Und besonders in den Schulferien kamen auch andere Cousins [...] vorbei und bevölkerten das Ehrlich-Haus und den Garten. Und es war immer jede Menge Familie da“ (ebenda).

Die hohen jüdischen Feiertage wurden im Familienkreis begangen. „Der Seder - als die ganze Familie zusammenkam - bestand immer aus mindestens zwei Dutzend Personen. Das geschah traditionell in der Wohnung meiner Großtante Ida. […] Es war eine sehr fröhliche Angelegenheit“ (ebenda).

Fritz' Eltern waren Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Sie trafen sich mit ihren jüdischen Freunden zum geselligen Beisammensein und organisierten vielleicht einmal im Jahr eine Theateraufführung oder ein Kostümfest an Purim (vgl.ebenda). Allerdings hielt man sich nicht allzu streng an die religiösen Vorschriften, die Synagoge besuchte man nur gelegentlich, meist an den hohen Feiertagen, und auf koscheres Essen wurde in Fritz Familie kein Wert gelegt.  Die liberale und tolerante Einstellung der Ehrlichs zeigte sich auch darin, dass Haushaltsführung, Kochen und auch die Kindererziehung in den Händen einer katholischen Haushälterin lagen. „Der Haushalt wurde von einer wunderbaren Person namens Anna geführt [...] Sie war keine Jüdin. Sie war katholisch, sehr religiös und hatte viel Zeit – so viel Freizeit, wie sie wollte, jeden Sonntag, jedes Weihnachten und Ostern in die Kirche zu gehen. Aber sie war sehr, sehr freundlich zu uns, und sie hat meine Schwester und mich sicherlich genauso erzogen wie alle anderen auch. Und ihre Kochkünste waren hervorragend. […] Leber mit Zwiebeln —und Apfelringen und  Kartoffelpüree war mein absolutes Lieblingsessen“ (ebenda).

Fritz besuchte zunächst vier Jahre die Volksschule in einer riesigen Klasse mit 52 Schülern, darunter fünf jüdischen Mitschülern. Im Mai 1933 wechselte er zur Realschule, die er bis zum Ende der 3. Klasse im Schuljahr 1935/36 besuchte. Seine Lehrer bescheinigen ihm gute Leistungen, aber die NS-Ideologie fand natürlich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten immer stärker Eingang in die Schule, so dass Fritz den Unterricht als „grauenhaft“ empfand: „Ich erinnere mich daran, dass der sogenannte Französischlehrer uns alles über seine Heldentaten im Krieg 14-18 erzählte, anstatt uns Französisch beizubringen“ (ebenda). Eine Episode aus dem Musikunterricht ist Fritz Ehrlich in Erinnerung geblieben. Ein Teil des Musikunterrichts bestand darin, dass jedes Kind aufstehen und vor der Klasse ein Lied singen musste und dafür eine Note bekam. „Und natürlich war ich bei all dem Antisemitismus und der geladenen Atmosphäre viel zu schüchtern, um das zu tun. Aber er [der Musiklehrer] hat mich darum gebeten. Also brachte mir mein Vater, der ein sehr fähiger Mann war - er spielte ein bisschen Klavier -, ein Lied bei, ein deutsches Volkslied mit dem Titel ‚Ich hatt' einen Kameraden - Ich hatt’ einen Kameraden; einen besseren findest du nicht‘. Und das hat er mir beigebracht. Und ich bin in der Klasse aufgestanden und habe es gesungen. Und es ist das Verdienst von Riegl [Name des Musiklehrers], dass er mir die Note 2 gegeben hat. Ich bin sicher, dass ich nur Note 5 verdient hätte, weil ich überhaupt keine Stimme habe. Aber ich glaube, er hat mir die Note 2 gegeben, weil ich mich bemüht habe" (ebenda)

Erst viele Jahre später wurde Fritz klar, warum sein Vater dieses Lied ausgewählt hatte, […], und nicht ein anderes. Es hatte für ihn einen ganz speziellen Sinn. „Denn was meinen Vater in Deutschland in den frühen Tagen des Nationalsozialismus am meisten getroffen hat, war, dass seine Freunde und Bekannten nicht mehr mit ihm sprechen wollten. Sie überquerten lieber die Straße, wenn sie ihn in der Stadt trafen, als ihn begrüßen zu müssen. Und angesichts des harten Lebens, das er mit diesen Menschen teilte, als sie den Krieg von 14 bis 18 überlebten […], konnte er diese Feindseligkeit seiner Freunde sehr schwer akzeptieren. Ich dachte, ich sollte das erwähnen. Ich denke, es ist eine nette kleine Geschichte“ (ebenda). 

Auch Fritz spürte zunehmend die Ausgrenzung. Die anderen Jungen in seinem Alter waren in der Hitlerjugend, von der die jüdischen Jungen ausgeschlossen blieben. „Und in diesem Alter, so zwischen 10 und 13, wünschte man sich sehr, man wäre dabei. Wenn du die Nazis sahst - Jungs - aus deiner Schule, wie sie in Uniform hinter einer Blaskapelle durch die Straßen marschierten, und du sahst aus dem Fenster, wünschtest du dir instinktiv, dazuzugehören. Du fühltest dich ausgeschlossen. Du hast nicht verstanden, warum nicht“ (ebenda). Einerseits wünschte sich Fritz, ein Teil dieser Bewegung zu sein, anderseits wirkte die NS-Propaganda beängstigend auf ihn, vor allem, wenn die SA bei ihren Aufmärschen antisemitische Lieder wie ‚Wenn’s Judenblut vom Messer spritzt, geht’s noch mal so gut‘ sang. „Es war eine wunderbare Melodie, eine leichte Marschmelodie. Aber der Text war ziemlich beängstigend für kleine Jungs. Also sagten alle, ach, ignoriert es einfach. Es ist nur eine schöne Melodie. Sie meinen es nicht wirklich ernst. Im Jahr 1933 meinte es niemand ernst“ (ebenda).

Doch in den nächsten Jahren sollte auch einem Jugendlichen wie Fritz klar, werden, dass die jüdische Minderheit immer stärkeren Repressionen ausgesetzt war. Als Fritz eines Tages von der Schule zurückkam, sah er, dass SA- Männer vor ihrem Modehaus standen und keine Kunden hereinließen. Auf der anderen Straßenseite stand ein Polizist, der den Vorfall ignorierte. Ein SA-Mann stand vor dem Eingang, „mit weit gespreizten Beinen und den Händen in den Hüften. [...] Und ich – anstatt wie üblich durch die Vordertür hineinzugehen, bin durch die Hintertür geschlüpft, denn ich war zu Tode erschrocken, als ich ihn dort stehen sah." (ebenda). Aus Gesprächen seiner Eltern erfährt Fritz auch, dass Menschen verhaftet, zusammengeschlagen und nach Hause zurückgeschickt wurden. Und ihre katholische Haushälterin Anna sah sich bösartigen Beschimpfungen in der Öffentlichkeit ausgesetzt („Hier kommt die jüdische Köchin!"), hielt aber weiter treu zu Familie Ehrlich.

1936 musste Fritz die Realschule verlassen, weil jüdischen Schülern der Besuch der Schule verboten wurde. Im April 1936 zog er nach Coburg (SBK Meldekarte) und besuchte dort wie sein Cousin Hans Josef (Joske Ereli) eine jüdische Privatschule. Die Internatsschule befand sich etwas außerhalb Coburgs, und da Coburg eine äußerst antisemitische Stadt war, durften die jüdischen Schülerinnen und Schüler auf keinen Fall das Schulgelände verlassen.

Im Spätsommer 1936 erfuhr der völlig ahnungslose Fritz, dass seine Eltern Bad Kissingen fluchtartig verlassen hatten und nach England emigriert waren. Ein Bekannter hatte seinen Vater gewarnt, dass die Nazis etwas gegen ihn im Schilde führten, er solle deshalb schnellstmöglich Bad Kissingen verlassen.

Fritz Mutter Adele kam 1937 zurück, um die Wohnung aufzulösen und ihre beiden Kinder nach England zu holen, Franz Ehrlich blieb in England, weil er in Deutschland eine Verhaftung zu befürchten hatte. Im April 1937 stiegen der 14jährige Fritz, seine drei Jahre jüngere Schwester Liesel mit ihrer Mutter in den Zug und fuhren nach Holland und erreichten mit der Fähre England, wo sie Onkel Ludi, ein Onkel seines Vaters, zunächst aufnahm und unterstützte.

Während des Krieges fand Fritz, der sich jetzt Fred nannte, eine Beschäftigung in Padiham, einer kleinen Industriestadt in Lancashire, wo ein Bekannter seines Onkels Ludi eine Werkzeugbau-Firma besaß, in der Schleifscheiben hergestellt wurden. Dort arbeitete Fred als Mechaniker und besuchte gleichzeitig eine Abendschule, an der er Maschinenbau, technisches Zeichnen und Produktionstechnik studierte. Als der Krieg zu Ende war, kehrte er nach London zurück und wohnte wieder bei seinen Eltern. Er überlegte auch kurze Zeit, ob er, wie seine jüngere Schwester, nach Palästina auswandern sollte, doch als er 1950 seine Schwester in Israel besuchte, wurde ihm klar, dass dies nicht der richtige Platz für ihn war. „Damals hatte ich das Gefühl, dass das Leben in Israel hart sein würde. Und ich dachte, man bräuchte besondere Fähigkeiten, um in Israel seinen Lebensunterhalt zu verdienen, um einen echten Beitrag zu leisten. Und ich glaubte nicht, dass ich der Richtige dafür war. Außerdem hatte ich meine Eltern in London. Und ich hatte das Gefühl, dass ich sie nicht im Stich lassen sollte" (ebenda).

Seine spätere Frau Ellen Ramsay, die aus dem ostpreußischen Königsberg (heute Kaliningrad) stammte, hatte Fred 1947/48 kennengelernt, als er seine Schwester in einem Ausbildungscamp besuchte, wo sie sich mit ihrem Mann auf ihre landwirtschaftliche Tätigkeit in Israel vorbereitete. Auch Ellen plante nämlich ursprünglich nach Palästina auszuwandern. Ellen und Fred entschieden sich in England zu bleiben und heirateten im März 1950 in Manchester, aus beruflichen Gründen zogen sie aber nach Birmingham, wo 1953 ihr erster Sohn David geboren wurde. Ihr zweiter Sohn Dan kam sieben Jahre später zur Welt.

Nach den bitteren Erfahrungen in der NS-Zeit wollte Fred Ehrlich seine Geburtsstadt Bad Kissingen lange Zeit nicht besuchen. Im Interview von 1998 meinte er dazu: „Ich war noch nicht in Bad Kissingen. Meine Cousins ​​sind alle hingegangen und haben es sich angesehen, sind aus Israel und aus Amerika angereist. Sie sind zurückgegangen. Ich bin nicht zurückgegangen.[...] Für das Unternehmen, für das ich gearbeitet habe, war ich schon mehrere Male in Deutschland". Bei einem Besuch in der Nähe von Essen wurde ich „verschiedenen Menschen meines Alters und älter vorgestellt. Und als Herr Ehrlich aus London. Und es gab keinen, der – oh, das war vor 30 Jahren. Da war keiner, der den Mut hatte zu sagen: ‚Wie kommt es, dass du mit einem deutschen Namen aus London kommst? Wie kommt es, dass du Deutsch sprichst?‘ Keiner hatte den Mut, etwas zu sagen. Also sagte ich: ‚Nun, so denkst du darüber, ich kann ohne dich auskommen‘" (ebenda).

Zum großen Familientreffen der Familie Ehrlich im Sommer 2001 kam auch Fred Ehrlich in seine Geburtsstadt, und es war für ihn zweifellos ein bewegender Moment, Familienmitglieder aus aller Welt an diesem Ort wieder zu sehen.

Fred Ehrlich starb im Juni 2016 in Birmingham im Alter von 94 Jahren.

Aus dem Fotoalbum:


Quellenangaben


(USC Shoa Foundation, Visual History Archive, Interview mit Fred Ehrlichexterner Link, ins Deutsche übersetzt) (Das Interview ermöglicht einen sehr persönlichen Einblick in Fred Ehrlichs Biografie)
Joske Ereli, Von Hampi Ehrlich zu Jossle Ereli - Meine Lebensgeschichte
Hans-Jürgen Beck, Kissingen war unsere Heimat, Stand April 2017, S. 581, 585, 599
Schülerakte Jack-Steinberger-Gymnasium
Meldeunterlagen Stadt Bad Kissingen
US Holocaust Memorial Museum/Holocaust Survivors…externer Link
Todesnotiz in „The Gazette“, 8. July 2016externer Link
Datenbank Findmypast, England & Wales Marriages 1837-2005externer Link

Bildnachweise


beim Schlittschuhlaufen © Judy Heymann Kazan (weitergeleitet von Hans-Jürgen Beck)
weitere Fotos © Joske Ereli, Ein Gedi und Fred Ehrlich, Birmingham



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